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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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das Schwert zum Streich, doch seinem Hieb fehlte die Kraft. Es gelang ihm nicht, seinem Gevatter mit einem Schlag das Haupt abzutrennen.
    Die Menge stöhnte entsetzt auf. Das war wahrlich ein böses Omen!
    Der Henker, der bei Feugeler gestanden hatte, sprang hastig herbei und trennte Berchems Kopf vollständig vom Leib.
    Zur Stunde noch trug man den Leichnam des Johann van Berchem in der Kirche des Gertrudenklosters am Neumarkt zu Grabe.
    Das Haupt des Bürgermeisters Johann von Rheidt fiel am nächsten Tag. Auch das Flehen seiner Gemahlin, die um ihrer sieben Kinder willen den Zunftausschuss fußfällig um Gnade für sein Leben gebeten hatte, hatte ihn nicht retten können. Nur wenige Stunden später folgte ihm Johann von Oldendorp, der zweite Bürgermeister, in den Tod.
    Drei Tage ruhte das Schwert, dann ließen vier weitere Ratsherren ihr Leben. Die Urteilssprüche kamen eher einem Akt der Rache gleich, als sühnender Gerechtigkeit.
    Mit den restlichen Ratsherren verfuhr man gnädiger: Heinrich Benrath wurde in den Kax gesperrt, jenen Käfig auf dem Neumarkt, wo er dem allgemeinen Spott und der Belustigung des Volkes preisgegeben und danach mit Ruten aus der Stadt getrieben wurde.
    Anderen erlegte man Geldstrafen auf.
    Als der Blutdurst des Pöbels endlich gestillt war, feierten die Bürger mit einer pompösen Prozession, die in einem festlichen Dankgottesdienst gipfelte, das Ende der Aufstände. Inständig baten sie ihren Herrn und Schöpfer, dass nun wieder Ruhe und Frieden in der Stadt einkehren mögen.

23 .  Kapitel
    A ls Lisbeth in die Gasse Unter Seidmacher einbog, wehte ihr vom Rhein herauf ein eiskalter Novemberwind entgegen, der sogar die Fluten des Rheins hatte zufrieren lassen. Doch es war ein klarer Wind, der den Duft der Veränderung in sich trug.
    Ganz so bald, wie die Bürger es erfleht hatten, hatte sich der Pöbel nicht beruhigen wollen. Lange Zeit noch hatte des Nachts Unruhe auf den Straßen geherrscht, und kein ehrbarer Bürger hatte sich zur Abendzeit hinausgewagt, aus Angst, geschlagen oder beraubt zu werden. Erst im März, als die neuen Ratsherren in einer Morgensprache sechs Herren zu Gewaltmeistern ernannten, die des Nachts in den Straßen für Sicherheit sorgten, hatte die Lage sich allmählich zu bessern begonnen.
    Bald ein Jahr war nun vergangen, seit die Steinmetzen mit ihrer Schlägerei den Stein ins Rollen gebracht hatten, der einer Lawine gleich den Filz und die Missstände in der städtischen Regierung hinweggefegt hatte. Im Bemühen, der Stadt eine gerechte Führung zu geben, hatte der neue Rat viele Gesetze erlassen, und endlich waren wirklich Ruhe und Frieden eingezogen.
    Als Lisbeth das Elnersche Haus erreicht hatte, hielt sie kurz inne und atmete tief die kalte Luft ein, um das beklemmende Gefühl zu vertreiben, das sie mit einem Mal ergriffen hatte. Dann erst öffnete sie die Tür und trat in den Flur. Seit jenem grauenvollen Martinsmorgen vor nunmehr zwei Jahren, als sie Grete und Mettel tot an ihrem Tisch in der Stube sitzend vorgefunden hatte, hatte sie das Haus nicht mehr betreten.
    Das Haus und die Werkstatt standen seither leer. Jedermann wusste wohl, dass es kein Geist gewesen war, der die alte Mettel ins Geckenhaus gebracht hatte, doch dieser Vorfall und der grausige Tod seiner Bewohnerinnen hatten dafür gesorgt, dass dem Haus ein Fluch angedichtet wurde, der an ihm klebte wie Pech. Deshalb hatte sich bisher kein neuer Mieter gefunden.
    Lisbeth verließ das Haus durch den rückwärtigen Ausgang in der Küche, querte den Hof und öffnete die Tür zur Werkstatt, in der einst ihre und Mertyns Mutter ihre Lehrjahre verbracht hatten. Es erschien ihr, als sei seit jenen Tagen nichts darin erneuert worden. Eine dicke Staubschicht bedeckte den Boden, die Wände waren überzogen von Spinnweben, und in den Ecken hatten sich Garnreste zu Haufen gesammelt.
    Lisbeth trat in den niedrigen Raum und untersuchte fachmännisch die Webstühle. Auch sie waren staubbedeckt und von Spinnweben überwuchert. Auf einem befand sich sogar noch ein eben begonnenes Seidentuch, das herunterzuschneiden sich niemand die Mühe gemacht hatte. Doch die Webstühle selbst schienen in Ordnung zu sein. Sie waren alt und abgenutzt, und natürlich würde man sie gründlich entstauben und die Litzen erneuern müssen, doch dann wären sie gut zu gebrauchen.
    Lisbeth schaute sich weiter in der Werkstatt um. In einem Regal an der Wand schimmelte ein grüner Klumpen, der vormals Rohseide gewesen sein

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