Die Tochter der Seidenweberin
beraubt, unter Deck brachte.
Besorgt musterte Eckert seine Dienstherrin von Kopf bis Fuß, und als er erkannte, dass Fygen kein weiteres Leid geschehen war, seufzte er erleichtert auf. Doch sogleich überzog eine schamhafte Röte sein Gesicht, und er senkte schuldbewusst den Blick.
Fygen erriet, was ihren getreuen Reisegefährten bewegte. Er schämte sich zutiefst, dass er seine Pflicht nicht erfüllt und es nicht vermocht hatte, sie vor den Übergriffen des Rotgesichtigen zu schützen. Sachte berührte sie mit der Hand seinen Arm. Doch Eckert überging ihre mitfühlende Geste. Ohne ein Wort, das Haupt schamvoll gesenkt, schlich er an Fygen vorbei, seiner Kabine im Achterkastell zu.
Ein wenig verloren blieb Fygen auf dem Deck des Schiffes zurück. Sie fröstelte, und um sich zu wärmen, schlang sie die Arme um ihre Schultern.
Außer der weinenden Frau, die sich in einigem Abstand an der Reling zusammengekauert hatte, schien der Zwischenfall niemanden weiter zu berühren. Die Matrosen gingen unbekümmert ihren Aufgaben nach, zerrten an Tauen, kletterten in die Wanten und machten sich in anderer Weise an Deck zu schaffen.
Fygens linke Gesichtshälfte fühlte sich taub an, als sei sie mit Watte gestopft. Vorsichtig betastete sie ihre Wange, und mit einem Mal schoss ihr der Schmerz in das Gesicht, als hätte er im Verborgenen nur darauf gelauert, dass sie sich seiner entsann, um sie nun heimtückisch hinterrücks zu überfallen.
Fygen erwischte einen der Bootsjungen am Hemd und bat ihn, ihr einen Eimer Wasser und saubere Lappen zu bringen. Alsbald kehrte dieser mit dem Gewünschten zurück, und sogleich tauchte Fygen einen der Lumpen in das Nass und drückte ihn sich kühlend auf die brennende Schwellung in ihrem Gesicht.
Die junge Frau lag immer noch an der Reling. Fygen nahm den Eimer auf und trat damit zu der Weinenden. Sachte berührte sie die Frau an der Schulter.
Das Wehklagen wurde lauter, und zunächst dachte Fygen, es rühre von den Schmerzen her, die ihr der Rotgesichtige zugefügt hatte, doch die Frau weinte aus Angst. »Wer beschützt mich denn jetzt?«, wimmerte sie.
»Er wird dir nichts mehr tun«, tröstete Fygen. »Der Senyor wird nicht zulassen …«
»Nicht vor ihm! Vor allen anderen! Wer beschützt mich jetzt?« Mit vom Weinen geröteten Augen starrte die junge Frau Fygen herausfordernd an.
Fygen hatte sie gründlich missverstanden, das merkte sie jetzt. »Beschützt?« Fygen konnte nicht umhin, das Wort spöttisch zu wiederholen. »Und wer schützt dich vor ihm? Dich und dein Kind? Wenn der Senyor nicht eingeschritten wäre, hätte dein feiner Beschützer dich totgeschlagen«, rief sie aufgebracht. »Du bist noch so jung. Was hast du mit solch einem Kerl zu schaffen? Glaub mir, ohne den bist du besser dran!«
»Was wisst denn Ihr!« Die Frau schniefte verächtlich, um sogleich erneut in Tränen auszubrechen. »Er ist doch alles, was ich habe!«
In gebrochenem Deutsch, doch für Fygen durchaus verständlich, brach es unter Schluchzen aus ihr heraus: Sie stammte aus Valencia. Ihre Eltern waren arme Leute, denen allzu oft sogar das Dach über dem Kopf fehlte, der Vater ein Trinker und Tagelöhner. Vor ein paar Jahren, als sie noch ein ganz junges Mädchen war, hatte ihre Mutter sich an einem eisigen Dreikönigstag mit einem Matrosen davongemacht. Nur wenige Tage darauf hatte ihr Vater in einer der verkommenen Spelunken der Stadt, in die er seinen geringen Verdienst trug, den Rotgesichtigen getroffen, einen Händler aus Tirol. Für kleines Geld hatte dieser das Mädchen seinem Vater abgehandelt und sie mit auf seine Reisen genommen. Und immer wenn die Geschäfte schlecht liefen oder wenn sich gerade die Gelegenheit bot, dann hatte er auch sie verkauft, für eine Stunde oder eine Nacht. Und nun war sie in Umständen …
Fygen lauschte der unglücklichen jungen Frau, ohne sie zu unterbrechen, und als sie geendet hatte, fragte sie sanft: »Wie heißt du, Kind?«
»Filomena.«
»Filomena, glaub mir« – Fygen seufzte –, »es wird vielleicht etwas dauern, bis du es einsiehst, doch ohne ihn bist du wirklich besser dran. Einen Kerl wie den findest du allemal wieder. Du musst jetzt an dein Kind denken. Was, wenn er dem Kind etwas zuleide tut?«
Mit vor Entsetzen geweiteten Augen blickte Filomena zu Fygen auf und nickte vage. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht.
Fygen griff mit der Rechten in den ledernen Beutel an ihrem Gürtel und entnahm ihm ein Geldstück. »Hier, damit kommst du
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