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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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verloren den Halt. Schwer stürzte er gegen die Reling, und sein Oberkörper ragte weit über die bleigraue Flut.
    Ein spitzer Schrei drang an Fygens Ohr. Starr vor Schreck klammerte sie sich an die Reling, merkte nicht, dass der Schrei ihr eigener war.
    Einen unendlichen Augenblick später entließ die Böe die Karavelle endlich aus ihren Klauen. Das Schiff richtete sich auf, und de la Vegas Hände fanden Halt am feuchten Holz der Reling.
    Kurz blitzte das Messer in der Hand des Rotgesichtigen im Licht. Abermals schrie Fygen auf, doch schon fuhr es in den feinen Stoff von de la Vegas Hemd. Das Leinen riss, und die Klinge schnitt den Spanier in den Unterarm.
    Scharf sog de la Vega die Luft durch die Zähne. Doch nur einen Wimpernschlag darauf traf seine Handkante bereits das Gelenk der Hand, die das Messer führte. Der Knochen brach, und mit einem Scheppern fiel das Messer zu Boden. Mit dem Fuß beförderte de la Vega es außer Reichweite.
    Der Getroffene stieß ein durchdringendes Heulen hervor und umklammerte seine schlaff herabhängende Hand mit der Linken.
    Langsam kam de la Vega auf die Beine. Ein hellroter Fleck breitete sich auf dem weißen Stoff seines Hemdes aus, doch das schien den Spanier nicht zu kümmern. Mit beiden Händen packte er den Rotgesichtigen und stieß ihn gegen das Ruderhaus. »Du wirst das Mädchen nie wieder anrühren, weder hier an Bord noch sonst irgendwo. Und du wirst dich der Senyora gegenüber respektvoll verhalten, sonst breche ich dir auch noch die andere Hand. Hast du mich verstanden?«
    Der Rotgesichtige winselte.
    »Hast du mich verstanden?«, wiederholte de la Vega schärfer und hieb ihm gegen das zerschlagene Gelenk.
    Der Rotgesichtige stieß einen hohlen Schrei aus. Dann nickte er. »Sí, ja, Senyor!«
    De la Vega löste seinen Griff und nickte ebenfalls, während der Rotgesichtige wimmernd zu Boden sackte.
    »Einen feinen Pöbel habt Ihr da an Bord gelassen!«, fuhr er den Kapitän an, der soeben herbeitrat.
    »Ich bedaure zutiefst, Senyor …« Verlegen rang der Gescholtene seine großen Hände.
    Doch de la Vega war noch nicht fertig mit ihm. »Ich will diesen Kerl nicht mehr an Deck sehen und erwarte, dass Ihr ein wachsames Auge auf ihn habt!«, befahl er. »Am besten, Ihr legt ihn für den Rest der Reise in Ketten. Und kümmert Euch darum, dass man seinen Arm versorgt!«
    Der Kapitän verbeugte sich respektvoll und packte den Rotgesichtigen beim Kragen. Ohne zu murren oder sich zu widersetzen, ließ dieser sich von ihm fortführen.
    Zitternd, die Hände so fest um das Holz gekrampft, dass das Weiße der Knöchel hervortrat, stand Fygen immer noch an der Reling. So schnell war das alles gegangen. Sie atmete tief ein, um das Zittern zu vertreiben, dann löste sie vorsichtig ihren Griff und bewegte die Finger.
    Mit wenigen Schritten war de la Vega bei ihr und packte sie grob am Arm. Seine Augen waren dunkel vor Zorn. »Ihr, Senyora! Was mischt Ihr Euch in Angelegenheiten, die Euch nichts angehen?«, schnauzte er sie an.
    »Wenn ich mich nicht eingemischt hätte, so hätte er seine Frau totgeprügelt!«, gab Fygen zurück. Sie spürte, wie hektische rote Flecken sich über ihren Hals ausbreiteten.
    »Und wenn schon!«
    »Ihr hättet nicht eingegriffen?«, fragte Fygen ungläubig.
    »Nein, warum sollte ich? Solcher Pöbel schlägt sich, und dann verträgt er sich wieder.«
    Fygen biss sich auf die Lippe. Das war die gleiche Ansicht, die auch Eckert vertreten hatte.
    De la Vega zog eine Augenbraue hoch und bedachte sie wieder mit diesem unerträglich arroganten Blick. »Wenn Ihr unter Deck geblieben wäret, wie ich Euch geraten habe, wäre das hier nicht passiert. Überhaupt, was hat eine Frau auf Reisen zu suchen!« Abrupt wandte er sich ab und ließ Fygen stehen.
    Mit einem Stöhnen kam Eckert auf die Beine, unsicher zunächst, und fahl im Gesicht. Es dauerte einen Moment, bis er sich im Wachsein zurechtfand. Er streckte die geschundenen Muskeln an Armen und Beinen, dann fuhr seine Hand tastend an sein Kinn. Doch außer einem blau unterlaufenen Auge, das langsam anzuschwellen begann, und einem blutigen Riss, der sich vom Winkel seines Auges quer über die Wange bis zur Lippe zog, hatte Eckert keine nennenswerten Blessuren davongetragen.
    Kurz schüttelte er den Kopf, um die Nebel in seinem Hirn zu vertreiben. Unter schweren Lidern hervor blickte er sich um und sah gerade noch, wie der Kapitän den Rotgesichtigen, nun hilflos zusammengekrümmt und all seiner Bedrohlichkeit

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