Die Tochter der Seidenweberin
Tisch.
Stina zögerte, ihn zu nehmen. »Bitte, Frau Ime Hofe!«, wagte sie einen letzten Versuch.
Im Grunde war Stina eine gute Arbeiterin, dachte Lisbeth, und wenn sie es künftig nicht an Respekt und Fleiß mangeln ließe, hätte sie nichts dagegen, Stina weiterhin in ihren Diensten zu behalten. Streng blickte Lisbeth sie an. »Also gut. Aber ich will mich nie wieder über dich ärgern müssen!«
Stina blickte ihrer Dienstherrin fest in die Augen. »Das verspreche ich«, sagte sie ernsthaft.
Als Stina das Kontor verlassen hatte, ließ Lisbeth sich in ihren Sessel zurückfallen. Es war einfacher gewesen, sich Respekt zu verschaffen, als sie gedacht hatte. Nur hatte sie dafür erst einmal richtig in Wut geraten müssen, stellte sie verwundert fest und fragte sich, wer von ihnen beiden mehr aus der Sache gelernt hatte, Stina oder sie? Nun blieb zu hoffen, dass Stina sich künftig angemessen verhielt, doch darin war Lisbeth voller Zuversicht.
»Demá!«, schnaubte Fygen verärgert. Soeben war Eckert in ihre Herberge zurückgekehrt, zum dritten Mal ohne Erfolg!
Dabei hatte Fygen es sich ganz einfach vorgestellt. Sie hatte Eckert zur Faktorei der Ravensburger geschickt, um ihren Besuch avisieren zu lassen, bei dem sie dann dem Herrn Alexander gehörig auf den Zahn fühlen wollte.
Dass jener sie nicht empfangen würde, ja, dass Eckert nicht einmal bis zu seinem Kaufmannsgehilfen vordringen würde, hatte sie nicht erwartet. Stets hatte man ihm das Tor vor der Nase zugeschlagen. Demá – hatte man ihm beschieden – morgen. Er solle morgen wiederkommen. Morgen sei der Herr zugegen …
Das war schon eine grobe Frechheit, befand Fygen verärgert. Dieser Herr Alexander schien ein rechter Ausbund an Liebenswürdigkeit zu sein.
Vor einigen Tagen bereits waren sie in Valencia angekommen. Nach dem unerfreulichen Ereignis an Deck der Karavelle hatten sie ohne weitere Zwischenfälle zunächst den Hafen Port de Bouc, am Étang de Caroute, links des Rhônedeltas erreicht. Während ihres nur wenige Tage dauernden Aufenthalts in Martigues, einer Stadt, von Wasserläufen zerschnitten und von Brücken wieder zusammengefügt, hatte sich das Wetter beruhigt, und von da an hatte sich auch das Meer von seiner besten Seite gezeigt. So hatten sie eine und eine halbe Woche später in Valencia, genauer gesagt im Hafen Grao, ein Stück südlich der Stadt, denn Valencia selbst lag nicht am Meer, an Land gehen können.
Fygen kniff die Augen zusammen und musterte Eckert mit kritischem Blick. Sein Gesicht war noch immer von den Spuren der Schlägerei gezeichnet. Während die Schwellung an Fygens Wange bereits nach zwei Tagen abgeklungen war, hatte Eckerts Gesicht für Tage einem nachlässig geformten Brotteig geglichen. Auch jetzt noch war seine rechte Wange dicker als gewohnt und blau-gelb verfärbt. Das Auge hatte sich zwar wieder an die ihm angestammte Stelle zurückgezogen, doch es hatte einen vollendeten violetten Kranz zurückbehalten, der nur ganz allmählich verblasste.
Alles in allem machte Eckert beileibe keinen vertrauenerweckenden Eindruck, das hatte Fygen unschwer an der Miene der Wirtsfrau ablesen können, als sie die Herberge bezogen hatten. Wenn ein Fremder, noch dazu offensichtlich aus fernen Landen, mit einer so zerschundenen Visage an das Tor der Wolkenburg klopfte, so würde es auch kein Leichtes für ihn sein, zu ihr vorgelassen zu werden, dachte Fygen.
Doch ganz gleich, ob Eckerts ramponierte Erscheinung der Grund dafür war, weshalb man ihm die Tür zur Faktorei gewiesen hatte, ihre Geduld mit dem freundlichen Herrn Alexander war nun am Ende. Entschlossen ergriff sie ein leichtes Umschlagtuch, warf es sich um die Schultern und machte sich selbst auf den Weg. Vielleicht würde das Auftreten einer Dame den Bediensteten von Herrn Alexander mehr Respekt abverlangen.
Nicht allzu lang darauf blickte Fygen stirnrunzelnd an dem hohen Haus empor, das die Faktorei der Ravensburger Handelsgesellschaft beherbergte. Mit seinen kleinen Fensterluken wirkte es trutzig und abweisend. Doch diese Bauweise machte Sinn, hatte Fygen in den vergangenen Tagen in ihrer düster anmutenden Herberge erfahren dürfen. Denn die engen Fensteröffnungen ließen nur wenig von der sengenden Mittagshitze ins Innere der Häuser.
Jetzt am Vormittag war es noch angenehm kühl in der schmalen Gasse unweit des Turia, in dessen Beuge sich die Stadt schmiegte. Doch je höher die Sonne am azurnen Himmel steigen würde, desto heißer würde es
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