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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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zweien traten die Landbewohner vor, um einer Gruppe würdig wirkender Herren ihr Begehr vorzutragen.
    Als Fygen und Eckert wenig später den Plaza Mercado erreichten, war kaum mehr ein Fortkommen. Dicht drängten sich die Marktbesucher um Stände, auf denen feilgeboten wurde, was dem fruchtbaren Umland der Stadt erwuchs. Fygen betrachtete fasziniert das lebhafte Treiben zwischen den Marktständen, die sich bunt bis in die anliegenden Gassen hineinzogen.
    Der Markt war groß. In seiner Ausdehnung gemahnte er sie bald mehr an eine Messe denn an einen gewöhnlichen Markt. Neugierig geworden, bog Fygen, von Eckert gefolgt, in eine Gasse zwischen Marktständen ein, auf denen Säcke voller Reis aus den Anbaugebieten von la Albufera, einem Süßwassersee südlich der Stadt, ihrer Käufer harrten.
    Eine Weile ließ sie sich von den Marktbesuchern treiben und genoss die verschwenderische Farbenpracht der üppigen Auslagen mit Obst und Gemüse. Zwischen den Ständen waren immer wieder Orangen zu hüfthohen Bergen aufgestapelt und verströmten ihren unvergleichlich süßen Duft.
    Auf einmal spürte Fygen, wie etwas an dem ledernen Beutel zerrte, der an ihrem Gürtel hing. Die schmutzigen Finger eines jungen Diebes waren noch nicht versiert genug, als dass er den Beutel hätte unbemerkt von Fygens Gürtel lösen können. Geistesgegenwärtig griff sie nach dem Strolch, der ihr gerade einmal bis zur Hüfte reichte. Doch der wartete nicht so lange ab, bis Fygen ihn hätte packen können, sondern suchte sein Heil in der Flucht. Behende bückte er sich und tauchte zwischen zwei Mägden mit prall gefüllten Körben vor ihr hindurch.
    »Haltet den Dieb!«, rief Fygen. Doch sie erntete nur verständnislose Blicke um sich herum, denn natürlich verstand niemand ihre deutschen Worte.
    Eckert schob sich an ihr vorbei und nahm sofort die Verfolgung auf, doch der Knabe war wendig und schnell. Zwischen einem Stand mit getrockneten Trauben von den Weinbergen an der Küste und einem mit Datteln aus Murcia hindurch flitzte er in die nächste Gasse. Dort hastete er um einen Berg von Wolle herum, wuselte zwischen Stapeln von Leder und ganzen Vliesen von Schafen aus den Bergen hindurch und verschwand schließlich auf Nimmerwiedersehen hinter Haufen von Halfa, einem Gras, das sich vorzüglich für die Fertigung von Seilen, Tauen, Schuhen und Packtuch eignete.
    Erst nach geraumer Zeit kehrte Eckert zurück, schwitzend und außer Atem. Weit länger, als den Dieb entwischen zu lassen, hatte er dafür benötigt, in dem Gewühl seine Dienstherrin wiederzufinden.
    Die hatte sich derweil vom Marktgeschehen ab- und der Llotja zugewandt, ihrem eigentlichen Ziel auf der Plaza Mercado. Übermächtig und von dem ganzen Treiben unberührt, ragte die Seidenbörse über dem Markt auf, mit ihren dicken, von Zinnen gekrönten Mauern und dem wuchtigen Turm einer Festung gleich. Ein Eindruck, den auch die reichverzierten Spitzbögen und die Steinreliefs nicht zu mildern vermochten, und erst recht nicht die steinernen Wasserspeier, die sich entlang der Dachfront zogen. Fygen erkannte Untiere, Fabelwesen und menschliche Gestalten in höchst unschicklichen Posen.
    An der Ecke des Gebäudes lehnten Gerüste. Die Bauarbeiten schienen noch nicht abgeschlossen zu sein, doch zweifelsohne war die neue Seidenbörse, die einheimischen wie fremden Händlern als Verkaufshalle diente, der zu Stein gewordene Ausdruck von der Stärke und Handelsmacht der Stadt.
    Ein beeindruckendes, doch keinesfalls einladendes Bauwerk, befand Fygen und trat durch das hohe Eingangstor. Dann jedoch, als sie in den Sala de Contractatión trat, sog sie überrascht die Luft ein. Der Anblick, der sich ihr hier bot, war gänzlich anders, als das Gebäude von außen hatte erwarten lassen. Die Verkaufshalle war von beeindruckender Eleganz. Imposanter noch als der Gürzenich, die gute Stube der Kölner daheim.
    Bestimmt vierzig Schritt in der Länge und mehr als zwanzig Schritt in der Breite mochte er messen. Zwei Reihen von je vier schlanken Säulen, die sich wie Spiralen in die Höhe wanden, trugen die schwindelnd hohe Decke und teilten den großen Saal in drei Schiffe. Die Wände waren schlicht gehalten, die Türrahmen und Fensterstürze jedoch waren herrliche Zeugnisse hervorragender Steinmetzkunst. Den Boden hatte man mit hellem und dunklem Marmor belegt.
    Zwischen den Säulen waren Verkaufstische plaziert. Männer standen dahinter, davor, zu zweien, in kleinen Gruppen. Man sprach, man handelte, doch

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