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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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anders als auf dem bäuerlichen Markt draußen unter freiem Himmel herrschte hier eine gelassene, der Würde dieses Saales angemessene Geschäftigkeit.
    Die Morgensonne flutete durch die Fenster und überzog den Saal und alles darin mit einem goldfarbenen Schimmer, als wüsste sie um die Wichtigkeit der Geschäfte, die hier abgeschlossen wurden.
    Ein Künstler war damit zugange, in Höhe der Kapitelle ein die vier Wände umlaufendes Spruchband zu malen. Fygen entzifferte die goldenen Lettern auf dunklem Grund. »Inclita domus sum, annis edificata quindecim. Gustate et videte, concives, quoniam bona est negotiatio, quae non agit dolum …«
    »Ein stattlich Bauwerk bin ich, in fünfzehn Jahren errichtet worden. Ihr Bürger, prüft und sehet selbst, wie gut der Handel ist, der keinen Betrug im Munde führt, der dem Nächsten seine Schuld bezahlt und nicht säumig wird, und der sein Geld nicht zu Wucherzinsen verleiht«, übersetzte eine Stimme mit weichem Akzent die lateinischen Worte ins Deutsche.
    De la Vega. Sie hatte die Stimme des großgewachsenen Spaniers sogleich erkannt. Fygen runzelte die Stirn. Sie wusste nicht recht, was sie von diesem Mann zu halten hatte. Sein Benehmen schwankte zwischen größter Höflichkeit und unfreundlicher Abwehr, und sein bisweilen unerträglicher Hochmut brachte sie auf.
    Gleichwohl war etwas an ihm, das Fygen anzog. Sie vermochte nicht zu sagen, was es war, doch jede Begegnung mit ihm hinterließ in ihr ein beunruhigendes, ja, verwirrendes Gefühl. Und so war sie ihm nach dem unglücklichen Zwischenfall auf dem Schiff bewusst aus dem Weg gegangen.
    Jetzt kam ihr seine Anwesenheit jedoch zupass. Fygen wandte sich um und schaute ihm in die Augen, die so überraschend hell in seinem dunklen Gesicht aufblitzten. »Ein hehrer Anspruch, will ich meinen«, sagte sie.
    »Es kann nicht schaden, die Kaufleute gelegentlich an ihre Redlichkeit zu gemahnen«, antwortete er mit einem Lächeln. Das Goldlicht im Saal färbte seinen Blick violett.
    »Wie wahr!«, stimmte Fygen zu. Ob sich jener impertinente Faktor der Ravensburger Handelsgesellschaft dieses Satzes bewusst war?
    Ihr Blick streifte Eckerts gerötetes Gesicht. Die Wärme schien dem alten Mann zuzusetzen. »Ich benötige deine Hilfe im Moment nicht«, sagte sie. »Hier bin ich unter ehrbaren Kaufleuten.«
    Unschlüssig trat Eckert von einem Fuß auf den andern. Seit dem Zwischenfall auf der Karavelle hatte er seine Herrin kaum aus den Augen gelassen. Doch in de la Vegas Gesellschaft war seine Herrin gut aufgehoben, das hatte jener bereits hinlänglich bewiesen.
    Die Erinnerung an seinen verlorenen Kampf gegen den rotgesichtigen Halunken stach in Eckerts Ehrgefühl wie ein Dorn. Doch andererseits hatte er auch nichts dagegen, sich im Weinzapf auf dem Markt eine Erfrischung zu genehmigen …
    Die Entscheidung fiel zugunsten des Weinzapfes, und mit einer steifen Verbeugung verließ der Alte die Llotja.
    »Ihr seht mich erstaunt, Euch hier anzutreffen, Senyora Bellinghoven.« De la Vega betonte die Worte wie eine Frage.
    Um Fygens Mundwinkel zuckte es belustigt. »Erwähnte ich nicht, dass ich in Geschäften hier bin?«, fragte sie und bedachte ihn mit einem maliziösen Lächeln. »Und wie ich höre, ist dies der rechte Ort für Geschäfte in dieser Stadt.«
    De la Vega zog eine Augenbraue hoch und deutete eine Verbeugung an. »Da habt Ihr recht gehört. Und welcher Art sind die Geschäfte, die Euch hierherführen? Datteln, Mandeln, Feigen, Rosinen?« Mit ausholender Geste wies der Spanier in die Runde. In der Llotja wurde beileibe nicht nur Seide gehandelt, obwohl sie einen so großen Anteil stellte, dass sie der Kaufhalle den Namen gab. »Nur Öl sucht Ihr hier vergebens. Das wird nach wie vor in der alten Llotja verkauft.«
    Fygen schüttelte den Kopf. »Seide. Ich kaufe Rohseide.«
    De la Vega nickte. »So gestattet mir, Euch zu begleiten. Vielleicht kann ich Euch als Tolmetsch behilflich sein?« De la Vega wartete gar nicht ab, bis Fygen ihr Einverständnis gegeben hatte, sondern fasste sie leicht am Arm und führte sie zu einem der Verkaufstische. Darauf waren Stränge von Rohseide zu einem ansehnlichen Berg getürmt.
    Kritisch begutachtete Fygen die Seide, nahm einen der Stränge auf und prüfte ihn zwischen den Fingern. Es war Seide von mittlerer Qualität. Fygen fand keinen direkten Fehl daran, doch die Farbe war einen Stich zu gelblich, und die Fäden waren nicht von der Feinheit, die sie sich gewünscht hatte. Rohseide dieser

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