Die Tochter der Seidenweberin
aufeinander.
Clairgin seufzte. Jacoba, Clairgins jüngere Lehrtochter, war schon seit ein paar Tagen krank. Es hatte mit Husten und einer laufenden Nase begonnen, die Clairgin mit den gewohnten Hausmitteln zu kurieren versucht hatte. Doch nun schien das Fieber Jacoba ernstlich gepackt zu haben. Sie phantasierte und schlug im Fieberwahn um sich.
Ergeben nahm Clairgin ein paar Schillinge aus ihrem Beutel. Heute hatte sich wirklich alles gegen sie verschworen, dachte sie, doch dann ließ sie die Münzen zurückgleiten, um zwischen den Pfennigen nach einer Kölnischen Mark zu suchen. Für Klimpergeld wäre Meister Conrad sicher nicht bereit, bei diesem Wetter das Haus zu verlassen.
»Lauf schnell zu Bader Conrad. Du weißt, wo die Badestube ist? Gerade die Gasse hinunter und dann links in Richtung Bach. Du kannst das Haus nicht verfehlen. Er hat bunte Tafeln an der Fassade angebracht mit Bildern von gebrochenen Knochen und ausgerissenen Zähnen, um Reklame für seine Kuren zu machen.« Clairgin drückte dem Mädchen die Münzen in die Hand, legte ihm einen Regenumhang um die Schultern und schob es zur Tür hinaus. Es machte nichts, wenn Barbara ein wenig nass wurde, doch die Aufgabe, die ihre Lehrherrin ihr aufgetragen hatte, würde ihre Angst vertreiben.
Sieben Tage lang pflegte Clairgin ihr Lehrmädchen und wachte des Nachts an seinem Bett, bis die Kuren von Bader Conrad endlich fruchteten und Jacobas Fieber sank. Nach zwei weiteren Wochen war sie um noch ein paar Schillinge ärmer geworden, doch glücklich und erleichtert darüber, dass ihr Lehrmädchen endlich gesundet war und wieder seiner Arbeit in der Werkstatt nachgehen konnte.
Anders als Bader Conrad würde Doktor Nicolas Gremberg sich für eine Kölnische Mark kaum außer Haus begeben. Da mussten es schon ein paar Gulden sein. Doch dafür war Gremberg auch ein studierter Medicus.
Er hatte in Heidelberg seine Studien begonnen, in Bologna gelernt und promoviert und später in Nürnberg und Ulm als Stadtarzt praktiziert. Schließlich war er dem Gesuch des ehrenwerten Rates der Stadt Köln nachgekommen und hatte sich um nicht geringer Vergünstigungen willen vor einigen Jahren in der Gasse Vor den Augustinern niedergelassen.
Doktor Gremberg war ein angesehener Mann in den Vierzigern. Er hatte es nicht nötig, sich bei schlechtem Wetter zu seinen Patienten zu begeben, und so hatte der Medicus abgewartet, bis sich die Wolken verzogen und einen milchweißen Himmel zurückgelassen hatten, bevor er sich auf den Weg machte.
»Ihr findet die Herrin in der Werkstatt«, beschied ihm die Magd, die ihm die rote Tür geöffnet hatte. »Es ist gleich geradeaus durch den Flur und über den Hof. Ihr könnt es nicht verfehlen.«
Gremberg runzelte die Stirn und maß die Magd mit strengem Blick. Üblicherweise wurde er in der Stube empfangen, so der Patient nicht bettlägerig war. In eine Werkstatt hatte man ihn noch nie geschickt.
Verstehend schlug die Magd sich vor die Stirn. Natürlich! Sie konnte den Herrn Doktor schlecht wie einen Färbergesellen in den Hof schicken. »Ich führe Euch hin«, sagte sie und versuchte, ihren Schnitzer mit einem respektvollen Knicks wettzumachen.
Der Herr Doktor nickte gnädig und folgte ihr gemessenen Schrittes zur Werkstatt.
Was machten die beiden denn da? Lisbeth schloss für einen Moment entnervt die Augen, als sie sah, wie Klara und Rita mit den Kettfäden hantierten.
Seit Stunden schon waren die beiden jüngsten Lehrmädchen damit beschäftigt, einen Webstuhl aufzuscheren, zum ersten Mal, ohne dass ihnen eine der Älteren dabei zur Seite stand. Sie hatten die langen Fäden zugeschnitten, am Warenbaum befestigt und knüpften gerade die losen Enden der letzten Fäden an den Kettbaum. In seiner vollen Länge spannte sich das weiße Garn durch die ganze Werkstatt. Doch die Mädchen hatten eine wesentliche Sache übersehen. Die Zeit drängte, der Webstuhl musste bald fertig werden, sonst säße eine der Weberinnen den Rest des Tages müßig herum. Soeben wollte Lisbeth sie auf ihr Versehen hinweisen, als sie sich eines anderen besann.
Stina Lommerzheim war den Blicken ihrer Meisterin gefolgt und hatte den Fehler gleichfalls bemerkt. Die stämmige Seidmacherin unterbrach ihre Arbeit, legte das Schiffchen beiseite und erhob sich von der Bank hinter ihrem Webstuhl, um die beiden unwissenden Hühnchen für ihr Fehlen zu rügen.
Mit einer raschen Bewegung hielt Lisbeth sie zurück und legte den Finger auf die Lippen. »Fest
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