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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Augenbrauen, diesmal beide zugleich, und seine Miene spiegelte Zerknirschung. »Nun, Frau Schwägerin«, sagte er mit einem bedauernden Lächeln, »mir scheint, ich bin Euch einiges schuldig!«
    »Zweitausendfünfhundert Pfund beste Seide aus Almeria«, antwortete Fygen und erwiderte sein Lächeln.
     
    »Zweihundertfünfzig Pfund Talayer?« Heinrich Vurberg legte sein längliches Gesicht in Falten. »Das soll ein Witz sein, nehme ich an. Warum kauft Ihr solch kleine Mengen nicht an der Waage?«
    »Weil dort alles vergriffen ist«, entgegnete Clairgin ruhig.
    »Nun, ich habe auch keine Rohseide.«
    »Ich weiß, doch ich hörte, Ihr erwartet in Bälde eine Lieferung.«
    »So, hörtet Ihr!« Vurberg trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch in seinem Kontor. Er hatte Wichtigeres zu tun, als mit einer unbedeutenden Seidmacherin über fruchtlose Geschäfte zu reden. »Das stimmt. Ist aber alles schon vorbestellt.«
    Das konnte nicht sein, dachte Clairgin. Der alte Seidenhändler wollte nur nicht. »Zweihundert Pfund würden auch reichen«, sagte sie, seine Unhöflichkeit ignorierend.
    »Eben! Da liegt das Problem. So kleine Mengen lohnen den Aufwand nicht, das Wiegen, das Abpacken … Andere kaufen ganze Lieferungen. Hylgen Byrken, Adelheid Liblar, Lisbeth Ime Hofe, Mettel van Hielden, die Schwestern Berchem«, zählte Vurberg die Seidenweberinnen mit den großen Webereien auf. »Sie alle kaufen Posten von bis zu zweieinhalbtausend Pfund.«
    »Dann in Gottes Namen fünfhundert Pfund. Mehr kann ich mir nicht leisten.« Wie eine Bittstellerin kam Clairgin sich vor, dabei wollte sie mit Vurberg doch nur ein ganz gewöhnliches Geschäft tätigen.
    »Aber keine Talayer!«
    »Metzenese?«
    »Nichts aus Sizilien!«
    »Venedig? Genua?«
    Vurberg nickte. »Aber zehn Zentner müsst Ihr schon nehmen.«
    Clairgin zögerte. Zehn Zentner – tausend Pfund – war die Menge, die sie gewöhnlich in einem ganzen Jahr verarbeitete! Nach den guten Verkäufen in Frankfurt konnte sie die Ware zwar bezahlen, doch es würde ihre ganzen Reserven aufbrauchen. Clairgin seufzte. Das war das Dumme mit der Seidenweberei – man brauchte flüssige Mittel. Sie hatte die Rohware anzuschaffen, die Löhne für Spinnerinnen und Färber zu zahlen und den Unterhalt für die Lehrmädchen zu bestreiten. Und erst, wenn die Ware schließlich verkauft war, erhielt sie selbst den Lohn für ihre Mühe. Einen guten Lohn zwar, doch auch sie musste bis dahin leben.
    Vurbergs Finger trommelten lauter auf die Tischplatte. »Sonst fragt bei Johann von Düsseldorf oder bei Geryt van Harffe nach«, empfahl er ihr gleichgültig einige unbedeutendere Seidenhändler. »Oder bei Tilman Wedich.« Letzterer war dafür bekannt, dass er sich, was die Qualität seiner Ware anging, bisweilen nicht ganz an die Zunftvorschriften hielt.
    Clairgin biss sich auf die Lippe und nickte widerstrebend. »Gut. Zehn Zentner«, stimmte sie leise zu. Was sollte sie auch anderes tun? Ihre Vorräte waren beinahe verbraucht. Wenn sie nicht bald Seide bekäme, säßen sie und die Mädchen tatenlos herum. Sie würde eine Zeitlang den Gürtel enger schnallen müssen, bis wieder Geld in die Kasse kam.
    »Alter Muuzepuckel!«, brummte Clairgin leise vor sich hin, als sie auf die Straße trat – aus ihrem Mund ein grober Schimpf für den Geizhals. Zu allem Übel hatte es auch noch zu regnen begonnen.
    Die dichten Fäden des Regens durchdrangen Clairgins leichten Umhang, als sie sich auf den Heimweg nach Sankt Peter machte. Das Kirchenspiel Sankt Peter, zwischen Sankt Cäcilien und dem Blaubach, war längst nicht so vornehm wie Sankt Alban, wo die Seidenhändler und die wohlhabenderen Seidmacherinnen ihre Häuser hatten, doch es war eine anständige Wohngegend. Viele Seidspinnerinnen wohnten hier, und die Seidfärber hatten ihre Werkstätten in den Gassen nahe den Bächen.
    Als Clairgin das gemietete Haus erreicht hatte, in dem sie mit ihren beiden Töchtern und zwei Lehrmädchen wohnte und arbeitete, war sie bis auf die Haut durchnässt. Doch wenn sie geglaubt hatte, dass es damit genug des Ärgers wäre für einen Tag, so musste sie sich eines Besseren belehren lassen.
    Kaum dass sie die Tür ihres Hauses aufgestoßen hatte, kam Barbara, ihr älteres Lehrmädchen, aufgelöst auf sie zugestürzt.
    »Gut, dass Ihr kommt!«, stieß sie hervor, die Augen schreckgeweitet. »Jacoba redet wirres Zeug!« Kaum konnte Clairgin ihre Worte verstehen, so sehr schlugen die Zähne des Mädchens

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