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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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wurde, runzelte er für einen winzigen Moment die dunklen Brauen, doch sogleich waren seine Züge wieder so beherrscht wie gewohnt.
    Lisbeth erklärte ihm den Zusammenhang, doch ihr Gatte nickte nur abwesend und griff nach dem Krug, der auf dem Tisch bereitstand. In Gedanken weilte er noch bei seinen Geschäften. »In Valencia herrscht ein anderes Klima als hier. Es ist viel wärmer dort«, erklärte er ernsthaft und schenkte sich einen Becher Wein ein.
    Stephan entfuhr ein despektierliches Lachen. »Was du nicht sagst!«
    »Das ist ja gerade der Witz!«, hob Lisbeth an zu erklären, doch sogleich gab sie den Versuch auf und zuckte hilflos mit den Schultern. Mertyn war eben so ernst.
    Zweifellos war Lisbeth dankbar, einen zuverlässigen Mann an ihrer Seite zu haben. Aber manches Mal ärgerten sie seine Ernsthaftigkeit und sein Ehrgeiz. Man konnte doch schließlich beides tun: fleißig und pflichtbewusst arbeiten und trotzdem fröhlich sein und das Leben genießen. Man wusste doch zu gut, wie schnell es vorbei sein konnte.
    Als junges Mädchen, damals, als Mertyn ihr die Welt erklärt hatte, hatte Lisbeth seine ruhige, überlegte Art bewundert. Er war so klug, war ihr so erwachsen vorgekommen.
    War er eigentlich damals schon so ernsthaft gewesen, fragte sie sich. Oder lag es daran, dass er nach dem frühen Tod seines Vaters als Mann im Haus die Verantwortung übernommen, dessen Geschäfte fortgeführt und sich um den Verkauf von Katryns Seidwaren gekümmert hatte?
    In knappen Worten berichtete Lisbeth Mertyn von Stephans Angebot und ihrem Wunsch, die gesamte Menge zu erwerben.
    »Ist sie um so vieles besser als herkömmliche Ware, dass es den Aufwand rechtfertigt?«, fragte Mertyn sachlich und nahm einen Schluck aus dem Becher.
    Lisbeth nickte eifrig und hielt ihm die Strähnen hin. Die Aufregung hatte ihr die Wangen gerötet. »Ist sie! Es ist die beste Rohware, die ich je gesehen habe«, schwärmte sie.
    Mertyn nahm die Seide entgegen und beschaute sie eingehend. Im dämmrigen Licht, das durch die buntbemalten Glasfenster drang, schimmerten die Stränge perlmuttfarben. Behutsam legte Mertyn sie zurück auf den Tisch der Stube, dann nickte er.
    »Was meinst du?«, drängte Lisbeth.
    »Es ist sicher eine Menge Geld auf einmal, aber das ist nicht das Problem. Wenn du die Seide nicht verarbeitet bekommst, kann ich sie immer noch verkaufen«, entgegnete Mertyn bedächtig. »Ob es allerdings sinnvoll ist, sie zu verlegen, sollten wir in Ruhe überlegen. Lass uns morgen darüber reden, ja? Ich habe heute noch eine Menge zu tun.«
    Lisbeth runzelte die Brauen und blickte mit einem Anflug von Verärgerung auf die Tür, die ihr Gemahl hinter sich ins Schloss zog. Am liebsten hätte sie die Seide trotzdem sofort gekauft. Allein schon, um Mertyn zu ärgern. Doch sollte sie das Risiko wirklich eingehen?
    Stephan bemerkte Lisbeths Verstimmung und lächelte sie aufmunternd an. »Du kannst es dir ja überlegen. Gib mir in ein paar Tagen Bescheid. Ich halte die Seide so lange für dich zurück.«
    Lisbeth nickte dankbar. Wie gern würde sie jetzt ihre Mutter um Rat bitten. Denn anders als ihre Schwiegermutter, die nie etwas unternehmen würde, das nicht vollkommen im Einklang mit den Zunftgesetzen stand, war Fygen durchaus bereit, ein Risiko einzugehen, wenn es einen gewissen Erfolg versprach, dessen war Lisbeth sicher.
    Unschlüssig nahm sie Fygens Brief wieder zur Hand und las ihn zu Ende. »Sie schreibt nicht, wann sie zurückkommt. Aber lange kann es jetzt nicht mehr dauern.«
     
    Ein kühlender Windhauch strich über die Terrasse der Alqueria und ließ Fygen frösteln. Dabei war es nicht wirklich kühl. Nur nicht mehr so heiß, wie sie es von den vergangenen Abenden gewohnt war, an denen sie hier mit Alejandro gesessen und gespeist hatte. Zweifellos der erste Vorbote des Herbstes, dachte sie betrübt und legte den Löffel beiseite.
    Die Alqueria, Alejandros Landhaus, lag von Bäumen beschattet inmitten der Felder an einen Hügel geschmiegt. Das weißgetünchte Gebäude war von großer Strenge und Einfachheit, doch von der Terrasse aus gewährte es einen einzigartigen Blick über die abgeernteten Felder ringsum. Über den Barracos in der Ferne stiegen dünne Rauchfäden auf.
    Es war ein wundervoller Sommer gewesen. Voller Liebe und Zärtlichkeit. Am Morgen nach ihrem Ausflug hatte Alejandro ihr Gepäck in die Alqueria bringen lassen. Eckert hatte es vorgezogen, in der Herberge zu bleiben, worum Fygen nicht böse war. Sie konnte

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