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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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schob sich in den Raum hinein, bemüht, die abgedeckten Teller auf dem Tablett im Gleichgewicht zu halten.
    Der Hausherr saß im schwindenden Tageslicht an seinem aufgeräumten Arbeitstisch, den Blick konzentriert auf den einzelnen Folianten vor sich gesenkt. Bei Lisbeths Eintreten hob er kurz den Kopf und schenkte ihr ein abwesendes Lächeln, um sich sofort wieder seinem Geschäftsbuch zu widmen.
    Lisbeth stellte das Tablett neben ihm auf dem Tisch ab und hob die Deckel von den Tellern. Einzelne Fleischstücke lagen darauf, knusprig gebraten und kräftig gewürzt. Sogleich durchzog ein herzhafter Duft nach Gebratenem das Kontor.
    Beiläufig langte Mertyn nach einem der appetitlich angerichteten Fleischstücke und schob es sich in den Mund, ohne den Blick aus dem Buch zu heben. Zweimal kaute er darauf, dann prustete er und spuckte den Bissen voller Abscheu in die hohle Hand. »Igitt! Lisbeth! Was, um Himmels willen, ist das?«
    Lisbeth biss sich auf die Lippe. Von der alten Bela war sie direkt zum Alter Markt geeilt, wo man an der Kotzbank neben minderwertigem Fleisch auch Innereien feilbot. Dann war sie selbst in die Küche gegangen und hatte die Köchin vom Herd vertrieben, um Mertyns Nachtmahl eigenhändig zu bereiten.
    Dass das Fleisch nicht sehr schmackhaft sein würde, hatte sie erwartet. Daher hatte sie sich bei der Zubereitung des Gerichtes besondere Mühe gegeben und viele Gewürze und teuren schwarzen Pfeffer daran getan, um den Geschmack zu übertünchen. Doch anscheinend war es trotzdem ungenießbar geraten.
    »Hammelhoden, Hasenhoden, Hoden von Ebern und Hirschen«, zählte Lisbeth kleinlaut auf. »Es war gar nicht so leicht, sie aufzutreiben.«
    Mertyn stieß einen würgenden Laut aus und fuhr sich mit seinem Schnupftuch über den Mund. »Das mag ja alles den feinen Zungen mancher Gecken munden, Lisbeth, doch mir machst du mit diesem neumodischen Firlefanz keine Freude. Bring mir einfach gebratene Wurst oder ein Hämmchen mit Kraut.«
    »Es ist keine neue Mode«, gestand Lisbeth unglücklich. »Es ist … es ist … es ist, weil …« Ein Schluchzer bahnte sich den Weg in ihre Kehle. »Ich wünsche mir doch so sehr, dass wir endlich ein Kind bekommen!«, brach es aus ihr heraus.
    Verblüfft starrte Mertyn seine Frau an. Dann zeichnete sich Verstehen auf sein Gesicht. »Und deshalb soll ich diese Unsäglichkeiten essen? Nein, Lisbeth, das ist dummer Aberglaube! Wenn der Herrgott uns mit Nachwuchs segnen will, dann wird er das schon tun«, suchte er seine Frau zu trösten. »Aber mit diesen Teufelskünsten versündigst du dich. Lass Messen lesen, von mir aus jeden Monat eine.«
    »Aber alle Gebete haben nicht gefruchtet«, klagte Lisbeth verzweifelt. »Vielleicht könnten wir eine Wallfahrt machen. Nach Sankt Marien in Büchen«, schlug sie eifrig vor. »Oder nach Augsburg. Dort soll eine Jungfer leben, eine Heilige, die darin Wunder vollbringt …«
    »Ach, Lisbeth.« Müde hob Mertyn die Hände. »Dafür ist doch gar keine Zeit. Ich reise bei Gott genug in der Gegend herum. Da muss ich nicht auch noch auf Pilgerfahrt gehen!«
    Niedergeschlagen verließ Lisbeth das Kontor. Mertyn schien es längst nicht so zu bekümmern wie sie, dass sie keine Kinder hatten. Ihn füllte seine Arbeit zur Genüge aus. Er verspürte nicht diese Leere, die sie bisweilen fast körperlich schmerzte.
    Wenn Mertyn die Speisen nicht essen wollte, die die alte Bela zur Steigerung seiner Manneskraft empfohlen hatte, was sollte sie sich dann noch einfallen lassen, um ihrem Gemahl im Schlafgemach zu mehr Eifer zu verhelfen?

7 .  Kapitel
    D ieses Mal war die Seide, die Stephan vor den Augen des städtischen Zinsmeisters auspackte, sauber, trocken und von bester Qualität. Von allerbester sogar. Leise pfiff der Kaufmannslehrling durch die Zähne. Sie würde ein hübsches Sümmchen eintragen.
    Bevor er die Packen ins Lagerhaus bringen ließ, nahm er einige Strähnen davon und schlug sie in sauberes Tuch. Es würde keine Mühe bereiten, diese Seide an den Mann zu bringen. Er brauchte sie nur Lisbeth zu zeigen, um einen großen Teil davon abzusetzen. Ohnehin wollte er sie später aufsuchen, um ihr den Brief zu bringen, den Fygen mit der Seide für ihre Tochter gesandt hatte.
    Stephans Miene verdüsterte sich, als er an den anderen Brief dachte, der aus Valencia gekommen war. Wobei es nicht der Inhalt des Schreibens gewesen war, der ihn erregt hatte. Sehr ausführlich, doch in freundlichen Worten, hatte Fygen ihm Arbeitsanweisungen

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