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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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habe euch ein paar Erdmandeln geschickt. Daraus lässt sich ein Getränk bereiten, das wunderbar zu kühlen vermag, wenn es wieder gar zu heiß ist.«
    Stephan stimmte in Lisbeths Gelächter ein. »Kühlendes Getränk? Ein warmer Würzwein käme jetzt gerade recht!«
    Fragend blickte Lisbeth Stephan an. »Hast du sie gesehen, die … Erdmandeln?«
    Stephan schüttelte den Kopf. »Vielleicht ist es das da?«, fragte er und wies auf das Bündel.
    Behutsam wickelte Lisbeth den Stoff auseinander. Zum Vorschein kamen ein kleiner Klumpen Zucker und ein paar unscheinbare, wurzelähnliche Knollen. Lisbeth betrachtete sie einen Moment enttäuscht, dann nahm sie erneut Fygens Schreiben zur Hand. »Du musst die Erdmandeln einen Tag und eine Nacht in Wasser einweichen und dann mehrmals in Tüchern gut ausdrücken. Dann zerdrückst du sie zu Brei, den du mit Wasser und dem Zucker aufschüttest, bis eine milchige Flüssigkeit entsteht. Die muss noch einige Stunden ziehen, um ihren vollen Geschmack zu entfalten. Im ersten Moment schmeckt sie ein wenig ungewöhnlich, doch es gibt nichts Erfrischenderes für einen heißen Tag …«
    Wieder konnten Lisbeth und Stephan nicht umhin, ausgelassen zu kichern. Der kurze kölnische Sommer hatte in diesem Jahr nicht einen solchen Tag gesehen.
    Stephan wischte sich mit übertriebener Geste den nicht vorhandenen Schweiß aus dem Gesicht. Dann erhob er sich und griff nach dem Haken, um das Feuer im Kamin anzuschüren. Seit drei Tagen wurde die Stube im Haus Zur Roten Tür wieder geheizt.
    Mit einem kleinen Glucksen wandte Lisbeth sich erneut dem Brief zu, um die Lektüre bereits nach wenigen Zeilen zu unterbrechen. Gespannt blickte sie Stephan an. »Und, wie ist die Seide?«
    »Schau selbst!« Stephan entfaltete das Tuch, in das er die wenigen Strähnen geschlagen hatte.
    Lisbeth nahm eine auf und rieb sie zwischen den Fingern. Dann hob sie sie an die Nase und roch daran. Anerkennend nickte sie, und die Begeisterung zauberte goldene Sprenkel in ihre braunen Augen. Fygen hatte nicht zu viel versprochen. »Wie viel hast du davon?«, fragte sie Stephan.
    »Fünftausend Pfund.«
    »Fünftausend Pfund!«, wiederholte Lisbeth ungläubig. Das war mehr, als sie erwartet hatte. Und mehr, als sie brauchte. Wie viel sollte sie nehmen? Eingedenk der Worte ihres Schwagers Hans, nur beste Qualität zu verarbeiten, eher mehr als zu wenig, zumal sie nicht wusste, wann ihr wieder solch eine Ware angeboten würde.
    Und wenn sie Stephan die ganze Ladung abnahm? Bezahlen konnte sie es, das war nicht das Problem. Doch fünftausend Pfund waren eine gewaltige Menge. Es würde zu lange dauern, bis sie und ihre Weberinnen die Seide verarbeitet hätten, auch wenn sie weiterhin mehr als die vier zulässigen Lehrtöchter behielt. Es ging auf den Winter zu, da war es nicht ratsam, die Seide zu lange zu lagern, wollte man nicht riskieren, dass sie feucht wurde.
    Begehrlich betrachtete Lisbeth die Strähnen in ihrer Hand. Natürlich gab es eine Möglichkeit, die ganze Seide zu verarbeiten. Wenn auch nicht in ihrem Betrieb. Sie könnte sie anderen Seidmacherinnen zum Weben geben. Seidmacherinnen, die es sich nicht leisten konnten, die kostspielige Rohware selbst zu erwerben, so wie Grete Elner.
    Unwillkürlich verzog Lisbeth das Gesicht, als sie sich ihrer Begegnung mit Grete im Haus Xanten entsann. Doch sie musste ja nicht Grete beschäftigen, die für ihre Schlamperei bekannt war. Sicher gab es andere, die besser arbeiteten.
    Seide zu verlegen, also sie anderen Seidmacherinnen zum Weben zu geben, verstieß zwar gegen die Zunftordnung, doch Lisbeth wusste mit Sicherheit, dass andere Seidmacherinnen wie Frieda Medman, Mechthild van der Sar und eben die Berchem-Schwestern es auch taten. Zudem gab es ja die Ausnahme, dass Weberinnen, die es sich nicht leisten konnten, sich als Seidmacherin selbständig zu machen, für andere Seidenweberinnen um Lohn weben durften. Der Unterschied lag einzig darin, ob sie es in ihrem eigenen Hause taten oder in der Werkstatt einer Dienstherrin.
    Ohnehin hatte Lisbeth das Gefühl, dass auf die Einhaltung der Zunftgesetze in letzter Zeit nicht mehr so genau geachtet wurde. So wie sich auch bisher niemand daran gestört hatte, dass sie mehr als die vorgeschriebene Anzahl an Lehrtöchtern beschäftigte.
    »Nun, was ist so erheiternd?« Ihr Gelächter über die Erdmandelmilch hatte ihn aus seinem Kontor gelockt. Mertyn trat in die Stube und unterbrach ihre Gedanken. Als er seines Bruders ansichtig

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