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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Regal?«
    »Ich wollte mir deine Werkstatt anschauen, Tante Lisbeth. Du hast es doch erlaubt.«
    »Ja, aber wieso versteckst du dich dann?«
    Immer noch hielt Stina Sophie beim Genick gepackt.
    »Du kannst sie loslassen. Es ist meine Nichte«, wies Lisbeth ihre Weberin an.
    Betreten schaute Sophie ihre Tante an. Die Unschuld in ihrem Blick ließ Lisbeth misstrauisch werden. »Deine Mutter weiß nicht, dass du hier bist, nicht wahr?«, argwöhnte sie.
    Das Kind presste die Lippen zusammen. Dann schüttelte es den Kopf, dass die dunklen Zöpfe flogen. »Sie ist bei Tante Fya. Aber du verrätst mich nicht, Tante Lisbeth? Vater wäre bestimmt böse, wenn er es wüsste.«
    Gegen ihren Willen musste Lisbeth schmunzeln. Natürlich sähe kein Vater es gern, wenn seine Tochter von zu Hause ausbüxen würde. Dieses Kind hier schien in seiner Wildheit eher ihrer Großmutter Fygen nachzuschlagen als ihrer ruhigen, tugendhaften Mutter Agnes.
    »Nun, da du jetzt schon einmal da bist, kannst du dir auch alles anschauen«, sagte sie mit einem Zwinkern. Es würde Sophie nicht schaden, etwas anderes als ihr behütetes Zuhause kennenzulernen. Lisbeth rief ihr jüngstes Lehrmädchen zu sich. »Regina wird dir alles zeigen«, erklärte sie Sophie. »Frag sie ruhig, wenn du etwas wissen willst.«
    Ein Strahlen erhellte das kleine Gesichtchen, und eifrig ergriff Sophie die ausgestreckte Hand des Lehrmädchens, das sie mit sich fortzog.
    »Und wie hat es dir gefallen?«, wollte Lisbeth wissen, als Regina Sophie nach einer Weile zu ihr ins Kontor brachte, wo sie damit begonnen hatte, die Verkäufe vom Bamasmarkt zu buchen – in der neuen Weise, Soll an Haben, wie sie es von Herman gelernt hatte.
    »Ganz gut.«
    »Nur ganz gut?«, fragte Lisbeth mit gespielter Enttäuschung.
    »Jaaaa.« Das Kind überlegte kurz. »Die Seide ist sehr schön. Und die Garne und die Webstühle. Aber es ist alles nur weiß! Ich dachte, die Seide ist ganz bunt!«
    Lisbeth sah die ehrliche Enttäuschung in den Augen ihrer Nichte. Kurzentschlossen legte sie die Feder auf das Journal und erhob sich. Sie wollte Meister Quettinck ohnehin in den nächsten Tagen aufsuchen. Doch das konnte sie genauso gut jetzt erledigen, und Sophie würde sie dann auf dem Rückweg bei ihrer Schwester abliefern.
    »Weißt du was?«, fragte Lisbeth ihre Nichte. »Ich werde dir bunte Seide zeigen. Würde dir das gefallen?«
    Sophie nickte, die Unterlippe erwartungsvoll zwischen die Zähne geklemmt.
    Nur eine kurze Weile später bog der Fuhrknecht im Pfarrbezirk Sankt Peter in die Gasse Onder Blauverfer ein und brachte den leichten Wagen vor dem Haus von Färber Quettinck zum Stehen.
    Der Färber empfing sie herzlich, führte sie in die Stube und bot seiner Kundin wärmenden Würzwein an, den Lisbeth gern annahm. Mit einem Lächeln bemerkte sie die Ungeduld, mit der Sophie auf der Bank hin und her rutschte. »Meine Nichte würde sehr gerne Eure Werkstatt sehen, Meister Quettinck.«
    »Nichts lieber als das!« Der Färber freute sich über die Neugier des Kindes. »Godert!«, rief er durch die Tür in den Hof hinaus.
    Sogleich kam ein schlanker Junge mit wuscheligem Blondhaar aus dem Werkstattgebäude am Ende des Hofes und trat in die Stube. Trotz seines jugendlichen Alters – er mochte zwölf oder dreizehn Jahre zählen – hatte er an Armen und Schultern bereits ansehnliche Muskeln. »Ihr habt gerufen, Meister?«
    Quettinck nickte. »Godert, dies ist Sophie, die Nichte von Frau Ime Hofe. Ich wünsche, dass du ihr die Werkstatt zeigst.«
    »Sehr gern.« Wenn der Bursche überrascht war über die Anweisung seines Lehrherrn, so ließ er es sich nicht anmerken. »Na, dann wollen wir mal«, sagte er und führte das Mädchen auf den Hof hinaus.
    Ein scharfer Geruch umfing Sophie, wurde beißender, je näher sie dem aus hölzernen Wänden gefügten Werkstattgebäude kamen, und als sie schließlich eintraten, hielt das Mädchen sich entsetzt die Nase zu. Es stank zum Davonlaufen.
    Godert grinste und wies auf einen großen Bottich, von dem der Gestank auszugehen schien. »Da ist ausgefaulter Urin drin.«
    »Was ist da drin?«, fragte Sophie und blickte neugierig in den Bottich, der bis über die Hälfte mit einer klaren, dunklen Flüssigkeit gefüllt war.
    »Verfaulter Urin. Pipi. Der Inhalt von Nachtgeschirren!«
    Sophie verzog angewidert das Gesicht, ließ jedoch in ihrer Neugier nicht nach. »Sag bloß, ihr macht gelbe Farbe mit Pipi?«
    Godert lachte. »Der Stoff soll später gelb werden,

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