Die Tochter der Seidenweberin
das ist schon richtig. Aber nicht so, wie du denkst, sondern mit Wau. Reseda. Die gelben Blumen kennst du doch?«
Sophie nickte gespannt.
»Damit der Farbstoff später auf der Seide haftet, muss der Stoff erst gebeizt, also mit einem Beizmittel gekocht werden. Und dafür nehmen wir Urin, der ist umsonst zu haben«, erklärte Godert und zog eine Grimasse. Er fand es gar nicht lustig, jedes Mal, wenn ihnen die Beize ausging, am frühen Morgen mit einem Eimer von Haus zu Haus zu gehen und die kleinen Geschäfte, welche die Menschen in der Nacht verrichtet hatten, zu erbetteln. Doch diese Aufgabe fiel nun einmal dem jüngsten Lehrbuben zu. Mit etwas Glück würde er sie im nächsten Jahr an einen neuen Lehrjungen weitergeben dürfen.
Sophie kicherte leise und blickte sich um. An den Wänden reihten sich Fässer neben Körben, die Färbemittel enthalten mochten, stapelten sich große und kleine Kessel, Pfannen mit langen Stielen und Schöpfkellen hingen an Haken von der Decke herab, lange Stecken lehnten an der Wand, und es stand so manches Gerät herum, von dessen Nützlichkeit Sophie sich keine Vorstellung machen konnte. Doch am augenfälligsten waren die drei anderen großen Holzbottiche, die auf dem gestampften Boden standen.
In dem einen bewegte ein Geselle mit kräftigen Armen und breitem Kreuz mit einem langen Stecken Tuch hin und her. Zum Schutz gegen die Farbmittel hatte er, wie auch die anderen Gesellen und Lehrburschen, eine lederne Schürze vor seine Kleidung gebunden.
»Die Bottiche sind aber groß«, sagte Sophie staunend.
»Müssen sie sein, wenn ganze Stoffballen darin gefärbt werden sollen. Und Seide wird nur im Stück gefärbt«, erklärte Godert, geschmeichelt von dem Interesse des Mädchens. »Das sind bis zu vierzig Ellen!«
Ein älterer Lehrbursche trat herbei und löste den Gesellen mit dem Stecken ab.
»Die Seide muss immer in Bewegung bleiben, damit sie gleichmäßig durchgefärbt wird«, setzte Godert seine Erklärungen fort. »Und das da« – er wies auf einen anderen Einrichtungsgegenstand an der seitlichen Werkstattwand – »ist der Stochofen.«
Sophie betrachtete den Ofen näher. Er war rund gemauert, mit einer Öffnung für die Feuerung, in die Holz geschoben wurde, wie bei anderen Öfen auch. Doch der obere Teil bestand aus einer abgerundeten Höhlung, in die ein großer Kessel eingefügt war.
Stimmen drangen durch die dünne Bretterwand. Undeutlich zunächst, doch als Sophie an den Stochofen herantrat, um ihn sich aus der Nähe zu betrachten, war aus der Nachbarwerkstatt, die sich an die Quettincksche anlehnte, deutlich eine tiefe, schnarrende Frauenstimme zu vernehmen: »… Und ob du es tun wirst!« Die Stimme klang keineswegs freundlich. »Du bist ein Nichts! Ein Niemand! Schau dich um. Siehst du hier irgendetwas in der Werkstatt, das nicht mir gehörte?« Die Stimme wurde leiser, bedrohlich jetzt, doch immer noch vernehmbar. »Ein Wort von mir genügt, und du bist erledigt!«
Unsicher blickte Sophie Godert an.
»Scher dich nicht drum«, sagte der Lehrjunge leichthin und machte eine wegwerfende Geste. »Da drüben ist manchmal der Teufel los.«
»Hach! Aber das ist ja unlauter! Das kann ich nicht. In den Geboten heißt es:
Du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen …
«, erklang nun beinahe flehentlich eine Männerstimme aus der nachbarlichen Werkstatt. Hoch und fistelnd zwar, doch erkennbar die Stimme eines Mannes.
»Warum spricht er so komisch?«, wollte Sophie wissen.
Doch bevor Godert antworten konnte, drang wieder die barsche Frauenstimme durch die Bretter der Wand: »Komm du mir gerade mit den Geboten. Ich weiß genau, dass du gegen mehr als ein Gebot verstößt.«
»Und wie soll ich das anstellen?« Der Mann hatte offensichtlich resigniert.
»Sag, was ist mit ihm? Wieso redet er so komisch«, drängte Sophie.
»Er ist verrückt!«, erklärte Godert.
Noch einmal vernahmen sie die Stimme der Frau: »Wozu hast du einen Kopf zwischen den Ohren? Denk nach. Dir wird schon etwas einfallen.«
Dann hörten sie, wie nebenan mit lautem Knall die Werkstatttür zuschlug. »O Gott, o Gott, o Gottchen …«, wehklagte der Mann, dann verlor sich die Stimme in der Tiefe des Raumes.
Godert fasste Sophie bei der Hand und zog sie mit sich aus der Werkstatt. »Komm, jetzt zeige ich dir noch, wo wir die Stoffe trocknen.«
Als sie auf den Hof hinaustraten, hatte sich der Himmel verdunkelt. Bleifarbene Wolken waren aufgezogen, und wie goldene Nadeln stachen die letzten
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