Die Tochter der Seidenweberin
konnte. Doch sie würde sicher keine neue beschäftigen, schon gar nicht Grete Elner.
»Nein«, sagte sie müde, »ich benötige keine weitere Hilfe.«
Die wuchtige Frau vor ihr richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Die Hände in die Hüften gestemmt, nun mehr fordernd denn bittend, überragte sie Lisbeth um mehr als eine Haupteslänge. »Auch wenn Eure Mutter und ich nicht die besten Freundinnen sind, so sind wir doch verwandt.« Gretes Worte gerieten anklagend, im Tonfall beinahe unverschämt.
So wirst du es nicht leicht haben, neue Arbeit zu finden, dachte Lisbeth. »Nein«, wiederholte sie fest, »es tut mir leid.«
»Wie konnte ich auch bei einer Ime Hofe auf Mitgefühl hoffen!«, zischte Grete. Ihr teigiges Gesicht verzog sich zur höhnischen Grimasse. Sie trat näher an Lisbeth heran und reckte drohend das Kinn vor. »Ihr vergesst, dass Ihr Eure großartige Weberei einzig und allein mir zu verdanken habt!« Gretes Worte zielten nicht darauf, Lisbeth umzustimmen, vielmehr schwang darin eine offene Drohung.
Lisbeth verschlug es ob dieser Unverschämtheit beinahe die Sprache. Aus purer Niedertracht hatte Grete dafür gesorgt, dass Fygen nicht länger ihre Seidenweberei betreiben durfte, und nun entblödete sie sich nicht, sich damit auch noch vor deren Tochter zu brüsten und ihr zu drohen. »Raus!«, herrschte Lisbeth sie an.
Verächtlich spuckte Grete auf den Boden und stapfte aus der Werkstatt.
11 . Kapitel
D er Morgen hatte sich erst gar nicht die Mühe gemacht, zur Gänze heraufzudämmern. Immer noch lastete das drückende Wetter, und es schien, als habe die Stadt aufgehört zu atmen und verharre reglos in der Erwartung drohenden Unheils.
Das Wetter konnte einen wirklich verrückt machen, dachte Herman. Auf dem Weg zurück vom Lagerhaus am Rheinufer waren ihm nur wenige Menschen begegnet. Umso mehr verblüffte ihn die schreiende Gestalt, die ihm entgegengeeilt kam, als er eben durch das Tor der Wolkenburg treten wollte. In höchsten Tönen kreischend und wie wild mit den Armen fuchtelnd, rannte der schmalbrüstige Mann an Herman vorbei.
Den da hat es schon erwischt, dachte Herman. Dann erkannte er Seger Sydverwer. Jeder kannte den seltsamen Vogel, von dem es unter der Hand hieß, er schlafe ebenso gerne bei einem Manne wie bei einer Frau. Armes Schwein, dachte er, während Seger immer noch kreischend in die Gasse hinausstürmte. »An den Zerss! An den Zerss hat er mir gefasst!«
Überrascht blieben die wenigen Passanten stehen und blickten Seger nach, der einem aufgescheuchten Huhn gleich die Cäcilienstraße hinunterjagte.
Kopfschüttelnd trat Herman in sein Kontor. »Was wollte denn Seger bei uns?«, fragte er Alberto, der an einem Arbeitstisch über die Bücher gebeugt saß.
»Keine Ahnung«, antwortete dieser. »Er kam rein und fragte nach dir. Als ich sagte, du seiest außer Haus, begann er laut zu schreien und mit den Armen zu fuchteln. Dann rannte er davon, als sei der Leibhaftige hinter ihm her.«
»Was für ein Irrer!«, brummte Herman.
Hätte er gewusst, dass der Irre den direkten Weg zum Domhof einschlug, hätte er Segers Erscheinen in der Wolkenburg niemals mit einem Schulterzucken abgetan.
Der Greve betrachtete Seger mit unverhohlener Abscheu, als hätte er ein widerliches Getier vor sich. »Mann, reißt Euch zusammen und sagt, was Ihr zu sagen habt!«, grollte er. »Ihr wart also in der Wolkenburg?«
»Jaha«, bestätigte Seger.
»Und was hattet Ihr dort zu schaffen?«
»Ein Fass Vitriol …«
Der Greve winkte ab. »Und weiter?«
»Der Herr Lützenkirchen war nicht da, nicht wahr? Aber der andere, der Luchese war da!« Seger rollte wild mit den Augen.
»Was für ein Luchese?«
»Na der … der …« Seger wand sich. »Na der Poussierstengel von dem Lützenkirchen.«
Streng blickte der Greve Seger an.
»Er ist Seidenzüchter und wohnt in der Wolkenburg beim Lützenkirchen«, erklärte Seger.
»Wir sprechen hier von dem gnädigen Ratsherrn Herman Lützenkirchen?«, vergewisserte sich der Greve.
»Von ebendem.« Seger nickte eifrig.
»Ihr spracht also mit dem Luchesen …«, nahm der Greve den Faden wieder auf.
»Sprechen wäre zu viel gesagt! Den Hosenriemen aufgebunden hat er, kaum dass er mich gesehen hat.« Seger bemühte sich, gerechte Empörung in seine Stimme zu legen.
Der Greve war sichtlich betroffen. Angewidert nickte er, Seger möge fortfahren.
»Dann hat er den Arm um mich gelegt, in ganz offensichtlicher Absicht.«
Und ich wette,
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