Die Tochter der Seidenweberin
an die Jungfer Laminit zu Augsburg, zu Lasten der Kompanie Fugger und Gebrüder«, fakturierte Herman, doch als Lisbeth außer Atem in sein Kontor trat, ließ er die Feder sinken. »Na, was wollen die Seidmacherinnen denn heute schon wieder von mir?«, fragte er schmunzelnd.
Gestern erst, um die Zeit der Non, war Lisbeth vom Bamasmarkt in Antwerpen zurückgekehrt und hatte es kaum erwarten können, in die Wolkenburg zu eilen. Vier Wochen voller goldenen Herbstwetters hatten die Geschäfte noch besser geraten lassen als gewohnt, und das schöne Wetter war ihr bis an den Rhein gefolgt.
»Los, sag schon, hat der Rat entschieden?«, drängte sie. Denn nicht nur die Mühlen Gottes mahlen bekanntlich langsam. Auch jene des Rates der Stadt Köln befleißigten sich zuweilen keiner größeren Schnelligkeit. Und so hatte erneut das Laub von den Bäumen fallen müssen, bevor sich die gnädigen Herren endlich mit den Fragen befassten, die Lisbeth so sehr unter den Nägeln brannten.
»Lass mich überlegen, es ist so viel beraten worden«, antwortete Herman gedehnt, wohl wissend, welchen Entscheidungen seine Schwester entgegenfieberte.
»Nun komm schon. Du weißt genau, was ich meine.«
Herman lachte gutmütig. »Zunächst wird es dich überraschen, zu hören, dass wir verfügt haben, dass den Klöstern und Konventen nunmehr überhaupt kein Seidengut mehr zur Verarbeitung gegeben werden darf.«
Lisbeth nickte. Das kam in der Tat überraschend, aber es war nur gerecht. Viele der Konvente wurden mit Spenden bedacht und bedurften des Einkommens nicht, das sie den zünftigen Seidspinnerinnen fortnahmen. Leid tat es Lisbeth für die Beginen, die sich künftig nach neuen Einnahmequellen umschauen müssten, was sich sicherlich nicht einfach gestalten würde. Doch im Grunde war die Entscheidung des Rates richtig, und sie selbst würde sich daran halten. Zugleich beschloss sie, den Frauen im Annenkonvent jährlich einen kleinen Beitrag zukommen zu lassen, so wie Fygen es immer gehalten hatte.
»Die Entscheidung über die Ausfuhr von Rohseide ist leider auf unbestimmte Zeit vertagt worden«, fuhr Herman fort, als er sich wieder Lisbeths Aufmerksamkeit versichert hatte. »Von Rheidt und van Berchem konnten die Ratsherren davon überzeugen, dass zu viele Bürger, die von einer solchen Entscheidung betroffen wären, just in Antwerpen weilten.«
Enttäuscht presste Lisbeth die Lippen aufeinander. Diejenigen, welche von der Entscheidung wirklich betroffen waren, jene, denen das Verbot vielleicht die Existenz gerettet hätte, waren kaum in Antwerpen gewesen. Sie hatten nicht genug Seide weben können, um damit zur Messe zu fahren. Denjenigen, die wegen des Bamasmarkts verhindert gewesen wären, hätte ein solches Verbot lediglich den Profit gekürzt.
»Doch nun das Beste zum Schluss.« Ihr Bruder riss Lisbeth abermals aus ihren Gedanken. »Rita von Kerpen ist per Ratsbeschluss zum Seidamt zugelassen worden.«
»Wie wundervoll!«, jubelte Lisbeth. Sie sprang auf und fiel Herman um den Hals.
»Ich konnte meine Kollegen davon überzeugen, dass jede Seidmacherin mit dem Verkauf ihrer Erzeugnisse die Einkünfte der Stadt mehrt und wir uns keinen Albus entgehen lassen sollten, so leer, wie der Stadtsäckel ist«, berichtete Herman nicht ohne Stolz. Und so hatte man Lisbeths ehemaliges Lehrmädchen zwar unter Zahlung der drei üblichen Gulden, jedoch ohne weitere Formalien zum Seidamt zugelassen.
Überglücklich kehrte Lisbeth in ihre Werkstatt zurück. Dass man Rita gestattet hatte, ihr Gewerk auszuüben, bedeutete, dass es nicht aussichtslos war, um Gerechtigkeit im Seidamt zu kämpfen. Bewies es doch, dass Brigittas Macht nicht grenzenlos war!
Mit Wohlwollen betrachtete Lisbeth die Tuche, die ihre Weberinnen während ihrer Abwesenheit gefertigt hatten. Sie konnte keinen Fehl daran finden, und auch in der Anzahl waren es kaum weniger, als wäre die Meisterin zugegen gewesen. Es schien, als setze Stina Lommerzheim mittlerweile alles daran, Lisbeths Vertrauen in sie zu rechtfertigen. Gerade wollte sie den Frauen ein großes Lob für ihren Fleiß aussprechen, als Stina willkürlich davonstob.
»Was haben wir denn hier für eine kleine Kröte?«, rief sie und zog hinter einem der Regale ein kleines Mädchen hervor. Ertappt zog das Kind den Kopf zwischen die Schultern, doch Stina packte es beim Genick und schob es in den Kreis der staunenden Frauen.
»Sophie!«, stellte Lisbeth überrascht fest. »Was machst du denn hinter dem
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