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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Sonnenstrahlen durch sie hindurch.
    Gerade als Sophie und Godert die außen am Haus angebrachte hölzerne Treppe erreichten, die zum großen Dachboden hinaufführte, erschien Lisbeth in der Tür. »Sophie«, rief sie. »Es wird Zeit, dass wir gehen.«
    Enttäuscht ließ Sophie Goderts Hand los.
    »Kommst du wieder?«, fragte der Lehrjunge leise und spürte, wie ihm das Blut in die Ohren stieg.
    »Natürlich!«, antwortete Sophie und schenkte ihm ein Lächeln, das die Röte aus seinen Ohren tiefer rutschen und sich über sein ganzes Gesicht ausbreiten ließ. Dann eilte sie zu ihrer Tante.
    Als Lisbeth und Sophie sich anschickten, in den Wagen zu steigen, öffnete sich die Tür des Nachbarhauses. Ein schmalbrüstiger Mann mit langen erdfarbenen Locken trat hervor.
    Der Statur und dem Erscheinen nach hätte man ihn eher für einen Musikanten gehalten denn für einen Färber, denn anders als den meisten seiner Zunft fehlten ihm die kräftigen Muskeln, welche die jahrelange schwere Arbeit wachsen ließ.
    Der Mann blieb auf der Schwelle stehen, legte den rechten Arm über seinen Leib und stützte den linken Ellbogen darauf. Das spitze Gesicht in die seltsam abgewinkelte Hand geschmiegt, dabei den kleinen Finger affektiert gespreizt, blickte er Lisbeth und Sophie unverwandt nach, bis der Wagen außer Sicht geriet.
    »Was ist mit dem Mann?«, fragte Sophie. »Er ist mir unheimlich. Godert sagt, er ist verrückt!«
    »Das ist nur Seger Sydverwer.« Lisbeth lächelte gequält. »Er ist in der Tat ein wenig seltsam. Aber das muss dich nicht beunruhigen.«
     
    Als Lisbeth Sophie wenig später im Haus Zum Kleinen Ochsen ablieferte, hatte sich der Himmel gänzlich verdüstert. Einer Drohung gleich lasteten die Wolken über der Stadt.
    Andreas Imhoff zeigte sich ganz und gar nicht erfreut über das Ausbleiben seiner Tochter. »Ich billige so etwas nicht«, beschied er Lisbeth. »Eine wohlerzogene Tochter aus gutem Haus gehört nicht in eine Werkstatt.«
    »Was ist denn schon dabei? Sie hat nur ihre Tante besucht«, versuchte Lisbeth ihren Schwager zu beschwichtigen. Sie hätte daran denken müssen, dass Sophies Vater die Eskapaden seiner Tochter missbilligen würde, aber sie hatte sich so über das Interesse ihrer Nichte an der Seidenweberei gefreut, dass sie es dem Kind hatte durchgehen lassen. Von ihrem Ausflug in die Färberei, der gänzlich ihre Idee gewesen war, gar nicht zu reden. Den verschwieg sie Andreas wohlweislich.
    »Nun, mir hat es nicht geschadet, ein paar Jahre in der Werkstatt meiner Mutter zu verbringen«, warf Agnes ein. »Und meinen Schwestern auch nicht.«
    »Deine Mutter …«, schnaubte Andreas, schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Er ging nicht so weit, den Satz zu vollenden, doch sowohl Lisbeth als auch Agnes wussten, dass Andreas das Betragen seiner Schwiegermutter ohnedies für unsäglich hielt.
    Sophie blinzelte Lisbeth verschmitzt zu. Für heute war sie davongekommen.
    Wenn sie selbst eine Tochter hätte, so hätte sie nichts dagegen, wenn diese Sophie ähneln würde, dachte Lisbeth auf dem Heimweg und konnte sich eines Anfluges von Wehmut nicht erwehren. Auch wenn das Kind nicht immer so fügsam war, wie Eltern es sich gemeinhin wünschten.
    Zurück in ihrer Werkstatt, erwartete Lisbeth abermals eine Besucherin. Eine, die sich schon aufgrund ihres Umfanges nicht hinter einem Regal verstecken konnte, auch wenn Grete Elner längst nicht mehr die Leibesfülle von einst besaß.
    »Was kann ich für Euch tun?«, fragte Lisbeth erschöpft. Nach den anstrengenden Messetagen hatte sie sich eigentlich einen ruhigeren ersten Arbeitstag gewünscht. Zudem verursachte das aufziehende Wetter einen unangenehmen Druck hinter ihrer Stirn.
    »Habt Ihr Arbeit für mich?«, fragte Grete direkt. Mit Höflichkeiten hatte sie sich noch nie aufgehalten.
    »Ihr arbeitet nicht mehr für Frau van Berchem?«
    »Nein«, presste Grete hervor, »nicht mehr.« Sie beließ es dabei, gab keine Erklärung.
    Doch Lisbeth wollte auch gar keine Rechtfertigung hören. Zumal sie sich den wahren Grund ohne Schwierigkeiten vorstellen konnte. Grete Elner war noch nie für ihren Fleiß und die besondere Qualität ihrer Erzeugnisse berühmt gewesen. Es musste wirklich schlecht um Grete stehen, dass sie sich so weit erniedrigte, die Tochter ihrer langjährigen Feindin um Arbeit zu bitten.
    Müde schüttelte Lisbeth den Kopf. Es war schlimm genug, dass sie den Frauen, die bereits für sie im Verlag arbeiteten, nicht die Arbeit aufkündigen

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