Die Tochter der Suendenheilerin
sein Ziel nicht gar so unerreichbar vorgekommen. Er wusste, dass demnächst die Pachtverträge für einige Güter des Herzogs v on Halberstadt mit den Regensteinern ausliefen. Und zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde Herzog Leopold diese Verträge sicher nicht verlängern. Eine günstige Gelegenheit, sich selbst um die Güter zu bewerben. Allerdings musste er in dem Fall Sicherheiten vorlegen. Wenigstens eintausend Silberdenare, um überhaupt als Pächter in Betracht zu kommen. Und wenn er später wirklich Pferde züchten wollte, brauchte er noch einmal die gleiche Summe, um drei oder vier gute Zuchtstuten zu erwerben und die notwendigsten Anschaffungen zu tätigen. Aber woher sollte jemand wie er zweitausend Silberdenare bekommen? Die Geldverleiher v erlangten Sicherheiten, und die besaß er nicht. Der Name seiner Familie war in der Ritterschaft geachtet, aber die Geldverleiher schüttelten allenfalls mitleidig den Kopf. Eine tapfere, ehrbare Familie. Und meistens völlig blank.
»Du bist so schweigsam«, hörte er Antonias Stimme. Er wandte sich zu ihr um. Sie sah noch immer erschöpft und müde aus, aber in ihren Augen blitzte die Lebensfreude. Was hatte er da nur angerichtet? Er hatte Hoffnungen geschürt, die er nicht erfüllen konnte. Was halfen ihm schon sein guter Name und sein Stand, wenn ihm die Mittel fehlten, um eine Familie zu unterhalten? Es sei denn … aber ja! Warum war er nicht gleich darauf gekommen? Es gab eine Möglichkeit, die gewünschte Summe aufzutreiben – oder alles zu verlieren. Doch an das Verlieren wollte er nicht denken. Welchen Unterschied machte es schon, ob er ein armer oder ein bettelarmer Ritter war?
»Ich habe nachgedacht«, antwortete er.
»Worüber?«
»Wenn es deiner Mutter tatsächlich gelingt, die Regensteiner zum Turnier zu bewegen, nehme ich am Tjost teil.«
»Davon bin ich ausgegangen.« Sie lächelte ihn an. »Ich sähe dich gern mit meinen Farben kämpfen.«
Natürlich, sie verlor sich in ihren Schwärmereien, war behütet genug aufgewachsen, um nur den ritterlichen Wettkampf zu sehen und nicht das Geld. Im Geist überschlug Stephan die Möglichkeiten. Der Sieger im Tjost gewann Pferd und Rüstung des Gegners. Es war üblich, stattdessen den Geldwert zu erhalten. Die Ausrüstung eines Ritters wurde im Schnitt mit vierhundert Silberdenaren veranschlagt. Sollte er selbst gleich beim ersten Kampf unterliegen, wäre alles verloren. Nie könnte er es sich leisten, sein Pferd und die Rüstung auszulösen. Aber wenn er fünf Mann im Tjost besiegte, hätte er zweitausend Denare zusammen. An seinen Fähigkeiten zweifelte er nicht. Nach der Eroberung Damiettes hatten sich die Kreuzritter oftmals gegenseitig im Kampf mit der Lanze gemessen. Damals hatten sie nicht um Pferd oder Rüstung gekämpft. Die Einsätze waren Teile der Beute gewesen, und wäre er bei Kairo nicht in Gefangenschaft geraten, hätte er tatsächlich als reicher Mann heimkehren können.
»Stephan?« Wieder war es Antonias Stimme, die ihn in die Gegenwart zurückholte.
»Ja?«
»Quälen dich etwa schwere Gedanken?«
»Wie kommst du darauf?«
»Du bist so in dich gekehrt.«
»Ich achte nur auf den Weg. Ein weiteres Mal sollten wir besser in keinen Hinterhalt geraten«, wich er aus. Besser, er verriet ihr nichts von seinen Plänen, bevor er sie verwirklichen konnte. Zu groß wäre ihre Enttäuschung gewesen, wenn sein Vorhaben misslang. Und sein Glaube an sich selbst wäre ebenfalls erschüttert gewesen …
Sie erreichten Burg Birkenfeld ohne weitere Zwischenfälle am frühen Nachmittag. Ausgerechnet Christian wurde als Erster auf sie aufmerksam.
»Was ist geschehen?« Er eilte den Ankömmlingen entgegen und half Antonia aus dem Sattel. »Um Gottes willen, Antonia! Wer hat Euch so zugerichtet?«
»Die Bode«, entgegnete sie knapp. »Aber bevor der Fluss mir Schlimmeres anhaben konnte, rettete mich Stephan aus den Fluten.« Stephan fing ihr warmes Lächeln auf und erwiderte es.
»Und wo sind die anderen?«
»Weiter nach Halberstadt«, antwortete Stephan und stieg ebenfalls vom Pferd. »Den kleinen Zwischenfall verdanken wir übrigens den Regensteinern.«
»Den Regensteinern?« Christians Augen wurden immer größer.
Stephan nickte und wandte sich an Antonia. »Du solltest besser ins Haus gehen und ein heißes Bad nehmen.«
Sie nickte, drückte Christian die Zügel ihres Pferdes in die Hand und ging.
»Seit wann duzt du meine Braut?« Christian funkelte Stephan verärgert an.
»Deine Braut?«
Weitere Kostenlose Bücher