Die Tochter der Suendenheilerin
Hat Euer Vater Euch gleich hart herangenommen, um einen Mann aus Euch zu machen?«
»Hört auf damit!«
»Warum? Ihr habt doch das Gespräch mit mir gesucht.«
»Ich gebe Euch einen guten Rat, Gräfin Helena. Sagt mir, wo Rudolf ist, dann habt Ihr nichts zu befürchten. Andernfalls …« Er ließ die Drohung unausgesprochen im Raum stehen.
»Ja? Ich bin ganz Ohr. Was geschieht andernfalls?«
»Eurer Tochter Meret könnte ein Unfall zustoßen.« Das Feuer hinter seinen Pupillen loderte dunkelrot.
Lena straffte sich. Die Drohung war ernst gemeint, daran bestand kein Zweifel. Aber zugleich wusste sie, dass sie die Gefahr nicht nur durch Nachgeben zu bannen vermochte.
»Herr Meinolf«, erwiderte sie und zwang sich zu ihrem liebenswürdigsten Lächeln, »sollte meiner Tochter – oder auch nur meinem Hund – ein Leid geschehen, dann werde ich Euch höchstpersönlich mit einem silbernen Löffel die Augäpfel aus dem Schädel schälen.«
Für einen Moment flackerte seine Seelenflamme. Mit einer Gegendrohung hatte er nicht gerechnet. Dann lachte er laut auf. »Glaubt Ihr wirklich, mir Angst einjagen zu können?«
»Nein. Es war nur eine freundschaftliche Warnung.« Sie stimmte in sein Lachen ein. »Wisst Ihr, in Ägypten ist das eine höchst beliebte Art, wie sich Frauen an ihren untreuen Ehemännern rächen. Man nimmt den Löffel so …« Sie machte eine Handbewegung. »Dann eine kurze Drehung, und schon rollt das Augäpfelchen über den Boden. Ein Tritt und ein hässliches Knacken, wenn es unter der Schuhsohle zerplatzt.« Lena verzog angewidert das Gesicht. »Diesen Teil finde ich immer besonders eklig.«
»Ihr seid verrückt!«
»Ist unser Gespräch beendet, oder habt Ihr mir noch etwas zu sagen, Herr Meinolf?«
»Wo ist Rudolf?«
»In Eurem Kerker, das wisst Ihr doch!«, fuhr sie ihn ungehalten an. »Erst habt Ihr mir ein Märchen über den Tod meiner Tochter erzählt, und nun wollt Ihr mich wegen meines Sohnes verunsichern. Ihr wisst doch selbst, dass eine Flucht aus Eurem Kerker unmöglich ist. Allmählich bin ich die Belästigungen leid!« Sie stand auf. »Ich erwarte, dass Ihr mich spätestens am Sonntag gemeinsam mit Pater Hugo zu ihm lasst.«
»Holt Ihr sonst Euer Silberlöffelchen?«, spottete er.
»Für Euch genügt ein Holzlöffel. Gehabt Euch wohl, Herr Meinolf!« Lena erhob sich und verließ die Schreibstube.
Erst als sie vor der Tür stand, bemerkte sie das Zittern ihrer Hände. Sie durfte Meret ab sofort keinen Augenblick lang aus den Augen lassen.
46. Kapitel
W arum bist du so missmutig?«, fragte Eberhard seinen Halbbruder auf dem Weg zum Kaminsaal, wo das Abendmahl eingenommen werden sollte. »Habe ich etwa fünf Silberdenare gewonnen?« Er versetzte Meinolf einen leichten Schlag auf die Schulter.
»Nein.«
»Dann sehe ich sie also gleich weinend an der Tafel?«
»Warten wir’s ab«, knurrte Meinolf.
»Das klingt aber nicht sonderlich siegesgewiss, Bruderherz.«
»Du verstehst nicht, wie man einen Krieg mit Worten führt und gewinnt. Das geschieht nicht durch plumpe Drohungen, das braucht seine Zeit.«
Helena von Birkenfeld wirkte so selbstsicher wie immer, als Eberhard sie an der Tafel sah. Sie saß neben ihrer Tochter Meret, zu ihren Füßen ruhte ihr lächerlicher Hund, und sie unterhielt sich angeregt mit Alheidis, die zu ihrer Rechten Platz genommen hatte.
»Ihr kommt spät«, tadelte Ulf seine beiden Söhne.
»Wir hatten noch Wichtiges zu erledigen«, antwortete Meinolf.
»Warst du erfolgreich?«
»Abwarten.« Dann wandte er sich der Gräfin zu. »Ich hoffe, es geht Euch und Eurer bezaubernden Tochter gut.«
»Selbstverständlich.« Die Gräfin erwiderte das Lächeln. »Oh, es gibt eingelegte Pflaumen! Dafür habe ich eine Schwäche.« Sie nahm einen silbernen Löffel und zerteilte eine der halbierten Pflaumen geschickt in der Mitte. Bevor sie den Löffel an den Mund führte, betrachtete sie das Stück Pflaume noch einmal eingehend.
»Das erinnert mich an Ägypten«, sinnierte sie.
»Gibt es dort auch so schöne Pflaumen?«, fragte Meinolf. Trotz des beiderseitigen Lächelns hatte Eberhard das Gefühl, die Luft zwischen ihnen gefröre.
»Oh, Ägypten bietet alles in reinem Überfluss«, antwortete sie, nachdem sie die Frucht genüsslich zerkaut und hinuntergeschluckt hatte. »Ihr müsst wissen, dass ich vieles durch meine Schwiegermutter kennengelernt habe. Am allerhöchsten schätze ich ihre Kenntnisse über die Wirkungsweise der Pflanzen. Besonders
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