Die Tochter der Suendenheilerin
Vergnügen hier sind und beim Morgengrauen wieder im Sattel sitzen müssen.«
»Bis dahin haben wir noch lange Zeit. Aber eigentlich erhoffe ich mir etwas anderes.«
»So?«
»Die Fortsetzung deiner Geschichte. Das zöge ich jeder willigen Maid vor. Also, erfahre ich das Ende heute Abend? Oder muss ich mich mit Marianne trösten?«
Stephan seufzte. »Einverstanden, aber erst nach dem Essen.«
Die gebratenen Hühner schmeckten so köstlich, wie Marianne es versprochen hatte. Das Bier war würzig, wenn auch ein wenig zu stark. Doch das störte Stephan nicht im Mindesten. Er hatte Karim versprochen, ihm vom bitteren Ende seiner Abenteuer in Ägypten zu erzählen. Von Erlebnissen, an die er eigentlich nie mehr denken wollte. Dennoch kehrten die Erinnerungen immer wieder zurück, verfolgten ihn in Albträumen, raubten ihm den Seelenfrieden. Würde Karim ihn verurteilen? Oder würde er es verstehen? Wenn er es verstand, dann konnte er hoffen, dass auch Antonia sich nicht angewidert von ihm abwandte, wenn sie irgendwann davon erfuhr.
Er musste diese Last endlich loswerden, sie mit einem vertrauten Menschen teilen.
»Hat es gemundet?« Marianne lächelte Karim keck an und räumte die Teller mit den Hühnerknochen ab. »Darf ich Euch noch etwas bringen?«
»Einen Krug Bier«, verlangte Stephan, ohne Mariannes Lächeln zu erwidern. Sie warf Karim einen weiteren herausfordernden Blick zu, doch er nickte ebenso ernst wie Stephan.
»Also?« Karim legte Stephan einen Arm um die Schultern, nachdem Marianne ihnen den zweiten Krug Bier gebracht hatte. »Wie ging es weiter, nachdem ihr freigelassen worden wart?«
Stephan trank einen Schluck. Es tat gut, sich wieder an einem Becher festhalten zu können. Diese Stütze hatte er bei seiner letzten Erzählung mehr vermisst, als er gedacht hätte.
»Wir begaben uns auf den Heimweg.« In seiner Erinnerung spürte er wieder die Hitze der Wüste, heiß und flirrend. Er atmete tief durch, um sich der zunehmenden Enge in der Brust zu erwehren. »Ich hatte Faris um die Waffen gebeten, die wir Ambroise Lacroix und seinen Männern abgenommen hatten. Angesichts der weiten Reise, die vor uns lag, stimmte er zu. So waren wir nicht schutzlos, auch wenn es bei uns nicht viel zu holen gab. Thomas’ Ersparnisse waren für die Überfahrt vorgesehen. Wenn wir erst wieder auf heimischem Boden wären, würden wir schon einen Weg finden, an Geld zu kommen. In den Hafenstädten warben reisende Kaufleute gern bewaffnete Begleiter zum Schutz ihrer Waren an.« Stephan trank noch einen Schluck Bier. »Da wir nun freie Männer und keine entlaufenen Sklaven waren, konnten wir dem Karawanenweg von Kairo nach Alexandria folgen. Zwar hatten wir keine Pferde, aber wir kamen dennoch gut voran. Wir übernachteten in einer der Karawansereien, die allenthalben den Weg säumten, und brachen am nächsten Morgen in aller Frühe auf. Gegen Mittag legten wir am Wegesrand eine Rast ein. Aus Richtung Kairo näherte sich eine Staubwolke. Wir beachteten sie nicht weiter. Wir waren schon von zahlreichen Reitern überholt worden, und niemand hatte uns besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Außerdem hatten wir von Rafik ben Tahir einen Freibrief bekommen, durch den wir uns ausweisen konnten.« Stephan hielt kurz inne, leerte seinen Becher in einem Zug und schenkte sich nach.
»Es waren fünf Männer. Vier von ihnen kannte ich nicht, aber ihr Anführer war Hakan.«
»Hakan!«, rief Karim. »Das hätte ich mir denken können!«
»Ohne jede Warnung griff er uns an. Sein Säbel traf mich im Gesicht.« Stephan fuhr sich mit der Hand über die lange Narbe. »Hätte ich mich im letzten Augenblick nicht zur Seite gedreht, wäre ich nicht mehr am Leben. Thomas brüllte vor Zorn, als hätte der Hieb ihn selbst getroffen, zog sein Schwert, riss Hakan am Bein vom Pferd und stieß ihm die Waffe in die Brust. Ein weiterer Reiter hob seine Waffe, um Thomas zu treffen. Doch der wich aus, verfehlte den Mann und traf das Pferd, das sich vor Schmerz aufbäumte und durchging. Die anderen sprangen von den Pferden, und ein heftiger Kampf entbrannte. Ich hatte mittlerweile ebenfalls mein Schwert gezogen, spürte kaum noch den Schmerz im Gesicht und kämpfte Rücken an Rücken mit Thomas. Ein zweiter Mann fiel, ein dritter wurde verwundet. Da Hakan bereits tot war, ergriffen die Verbliebenen die Flucht. Dann erst entdeckte ich, dass auch Thomas verwundet war. Er sank auf die Knie und presste die Hand auf den Leib. Ein Säbelhieb hatte ihn tief im
Weitere Kostenlose Bücher