Die Tochter der Suendenheilerin
war so glücklich, dass er seine Lebensfreude wiedergefunden hatte und ihr seine Zuneigung zeigte.
»Ich wollte dich nicht ohne Abschied ziehen lassen«, sagte sie.
»Komm!«, flüsterte er und zog sie in eine Ecke hinter dem Stall. »Wir haben nicht viel Zeit. Karim holt seine Satteltaschen und kehrt gleich zurück.« Dann nahm er sie in die Arme und küsste sie. Antonia genoss die Selbstverständlichkeit, mit der er sich inzwischen zu seiner Liebe bekannte. Sie war am Ziel ihrer Wünsche.
»Ich bin rechtzeitig zum Turnier zurück«, versprach er ihr. »Achte darauf, dass mein Name auf der Liste steht! Ich will unbedingt am Tjost teilnehmen.«
Sie bemerkte die Ernsthaftigkeit seiner Worte. Es ging ihm um mehr, als für ihre Ehre zu streiten.
»Warum ist der Tjost für dich so wichtig?«
Er atmete tief durch. »Damit ich deinem Vater nicht mit leeren Händen gegenübertrete, wenn ich um deine Hand bitte.«
Wenn ich um deine Hand bitte … Er hatte es gesagt. Er hatte es wirklich gesagt. Er liebte sie und wollte sie heiraten! Sie achtete kaum auf seine weiteren Worte.
»Wenn ich beim Tjost fünf Ritter schlage, hätte ich zweitausend Silberdenare gewonnen. Das genügt, um mich als Pächter auf einem Gut einzukaufen, einige Zuchtstuten zu erwerben und uns ein Heim mit gesichertem Auskommen zu schaffen.«
»O Stephan! Du bist wundervoll. Ich liebe dich.« Sie küsste ihn, und er erwiderte ihre Zärtlichkeiten voller Leidenschaft. Alles in ihr fühlte sich so leicht und unbeschwert an. Während sie in seinen Armen lag und das Schlagen seines Herzens an ihrer Brust spürte, schien sie über dem Boden zu schweben. Nie zuvor war sie so glücklich gewesen. Stephan mochte aus einer verarmten Adelsfamilie stammen, aber er hatte genügend Mut und Verstand, seine Ziele unbeirrt zu verfolgen und jedes Hindernis aus dem Weg zu räumen.
Schritte! Sofort ließ Stephan sie los, und sie fuhren herum.
»Meret, was suchst du bei den Ställen?«, stieß Antonia erschrocken hervor.
»Das Gleiche könnte ich dich fragen. Du lässt dich also frühmorgens hinter dem Stall abküssen. Ich dachte, das ist nur abends so üblich.«
Antonia spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. »Dass du niemandem etwas erzählst!«
»Warum sollte ich auch?«, erwiderte Meret schulterzuckend. »Es weiß doch ohnehin jeder, dass du in Stephan verliebt bist. Die Frage war immer nur, ob er dich auch liebt oder ob du ihm lästig bist.«
»Meret, du bist unmöglich!«
Stephan lachte leise. »Nun weiß sie wenigstens, dass du mir nicht lästig bist. Ganz im Gegenteil.« Er hauchte Antonia noch einen Kuss auf die Stirn und wandte sich wieder seinem Pferd zu. Gleich darauf erschien auch Karim mit seinen Satteltaschen.
»Großer Abschied?«, fragte er mit Blick auf Antonia und ihre kleine Schwester. Es war ein ungewohnter Anblick, ihn in abendländischer Kleidung zu sehen. Beinahe kam es Antonia so vor, als stünde ein jüngeres Abbild ihres Vaters vor ihr. Karim hatte mehr Ähnlichkeit mit seinem Onkel, als sie bis dahin bemerkt hatte. Der Bogen des Mundes, die Augen …
»Wir wollten euch nur eine gute Reise wünschen«, antwortete Meret. Dabei zwinkerte sie Stephan zu, der schmunzelte und den Schwestern ein letztes Lebewohl zurief, während er sich in den Sattel schwang.
»Passt gut auf euch auf!«, rief Antonia ihnen zum Abschied hinterher.
»Wirst du ihn heiraten?«, fragte Meret, nachdem Karim und Stephan aus dem Tor geritten waren.
»Du bist mir ein bisschen zu naseweis.«
»Bin ich. Also?«
»Behältst du es für dich?«
»Natürlich.«
»Er will beim Turnier in meinen Farben streiten und genügend Geld gewinnen, um bei Vater um meine Hand anhalten zu können.«
»Und was sagt Christian dazu?«
Antonia seufzte. »Der weiß es noch nicht. Und er tut mir leid. Aber ich liebe ihn nicht.«
»Ich finde Christian nett.«
»Dann kannst du ihn heiraten.«
»Ich bin doch erst elf!«
»Dann muss er eben noch fünf Jahre warten.«
»Meinst du, dazu wäre er bereit?«, fragte Meret mit so ernster Miene, dass Antonia lachen musste.
»Vielleicht. Du bist immerhin eine genauso gute Partie wie ich.«
»Aber er liebt dich.«
»Wahrscheinlich glaubt er nur, mich zu lieben, weil es alle von ihm erwarten.« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Genug geschwatzt. Lassen wir uns lieber das Frühstück schmecken!«
»Und?«
»Und was?« Stephan sah Karim fragend an. Burg Birkenfeld lag bereits eine ganze Strecke hinter ihnen, und sie
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