Die Tochter der Suendenheilerin
Bauch getroffen. Das Blut rann ihm durch die Finger, und eine bläuliche Darmschlinge quoll aus der Wunde.« Stephan würgte, spülte die aufkommende Übelkeit mit einem Schluck Bier hinunter. Die Erinnerung war so machtvoll, dass er eine Weile brauchte, bis er weitersprechen konnte.
»Vergeblich versuchte ich, Thomas zu verbinden, die Blutung zu stillen. Meine eigene Verletzung hatte ich vergessen, sie war nicht wichtig. Thomas aber war lebensgefährlich verwundet. Dazu kam die Furcht, dass die Angreifer zurückkehrten. Wenn sie unseren erbärmlichen Zustand bemerkten, wären wir eine leichte Beute gewesen. Nochmals hätten wir uns nicht gegen sie verteidigen können. Die Zeit verging, Thomas litt unmenschliche Qualen. Ich hielt ihn die ganze Zeit in den Armen, betete um ein Wunder, denn nur ein Wunder hätte uns noch retten können. Die ersten Geier tauchten am Himmel auf. Noch wagten sie sich nicht herabzustürzen, aber das war nur noch eine Frage der Zeit ...« Stephan kämpfte um Worte.
»Irgendwann entdeckte ich eine weitere Staubwolke, die sich von Kairo her näherte. Thomas war noch immer bei Bewusstsein – ihn wollte keine gnädige Ohnmacht erlösen. Er merkte, dass ich in die Ferne spähte.
›Kommen … sie … zurück?‹, presste er unter Schmerzen hervor.
›Ich weiß es nicht.‹
›Sie dürfen … dich hier nicht … finden‹, keuchte er. ›Versteck dich!‹
›Niemals könnte ich dich verlassen, Thomas!‹, rief ich verzweifelt und presste ihn fester an mich. Er stöhnte.
›Ich werde … immer bei dir sein‹, flüsterte er kaum hörbar. ›Wenn … wenn du mich … erlöst.‹
Ich begriff den Sinn seiner Worte nicht. Wollte ihn nicht begreifen.
›Bring es zu Ende!‹, hauchte er. ›Ich sterbe ohnehin … hilf mir, in Würde … zu gehen!‹
›Nein!‹, schrie ich. ›Das kannst du nicht von mir verlangen! Niemals! Niemals!‹
Aber er sah mich nur bittend an, halb wahnsinnig vor Schmerz. Und die Staubwolke kam näher.
›Tu es!‹, flüsterte er. ›Bitte!‹
Ich weigerte mich noch immer. Er flehte weiter, beschwor mich mit letzter Kraft. ›Meine Seele wird dich begleiten, damit du sicher heimkehrst‹, flüsterte er. ›Wenn du es nicht fertigbringst, lege ich selbst Hand an …‹
Ich sah, wie er nach seinem Messer tastete. Es war ihm vollkommen ernst.
Ich entriss ihm das Messer. ›Nein, tu’s nicht!‹, keuchte ich. ›Ich nehme die Sünde auf mich.‹
›Keine Sünde … ich segne dich dafür.‹ Er schloss die Augen. Ich nahm das Messer, drückte ihn noch einmal an mich und bat ihn um Vergebung. Dann stieß ich ihm das Messer von hinten in den Nacken. Er war sofort tot.«
Stephan brach ab und wischte sich fahrig über das Gesicht. Er konnte die Tränen nicht länger zurückhalten.
Karim sagte kein Wort. Stephan schluckte schwer. »Dann«, fuhr er fort, »ließ ich ihn langsam zu Boden gleiten, nahm seine Waffen und sein Geld an mich. Die Staubwolke kam näher. Beim Aufstehen merkte ich, dass ich vermutlich selbst eine Menge Blut verloren hatte, denn um mich herum drehte sich alles. Ich sank auf die Knie, fuhr mir mit der Hand durch das Gesicht und riss dabei versehentlich die dünne Schorfschicht über meiner Wunde auf. Von Neuem floss das Blut über die Wange. Ich fluchte über meine eigene Dummheit, dass ich nun auch noch eine Spur hinterließ. Dann untersuchte ich Hakans Leichnam, fand einen Dolch und einen Beutel mit Münzen. Ich strich Thomas ein letztes Mal über das tote Antlitz, versteckte mich hinter der Düne und wartete, wer da näher kam.«
Karim hatte den Blick gesenkt, das Gesicht bleich wie der Tod.
»Ich hatte mit Hakans Gefährten gerechnet, aber dann sah ich dich – mit einem Wasserschlauch und ohne Waffe. Ich hatte gerade eben meinen Bruder getötet, der mir mehr als mein eigenes Leben bedeutet hatte, um zu verhindern, dass er sterbend den zurückkehrenden Feinden in die Hände fiel. Und dann kamst du mit einem Wasserschlauch!« Stephans Stimme geriet ins Schwanken. »Ich hätte dich umbringen können, weil alles, was ich getan hatte, plötzlich so sinnlos und umsonst war. Ich hätte es nicht tun müssen, verstehst du? Ich hätte Thomas nicht töten müssen. Ich hätte nur warten müssen.« Er verbarg das Gesicht in den Händen, kämpfte gegen den Weinkrampf an, atmete mehrfach tief durch und spürte Karims Hand auf der Schulter.
»Es tut mir so leid«, flüsterte Karim.
Ein letztes Durchatmen, dann hatte Stephan seine
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