Die Tochter der Suendenheilerin
war und das Sonnenlicht in allen Regenbogenfarben zurückwarf. Die Augen waren dunkel umrandet, die Lippen voll und rot. Um ihren Hals hing eine kostbare goldene Kette aus unzähligen filigranen Gliedern, die ganz eigene Muster darstellten. Um die Handgelenke hatte sie zahlreiche goldene Armreife gewunden, die bei jeder Bewegung klirrten. Wo immer sie vorüberging, hielten die Menschen inne und sahen ihr nach.
Sachmet war nicht allein, Antonias Mutter, Karim und Donatus begleiteten sie. Karim hatte sich von Donatus wieder abendländische Kleidung ausgeliehen, die ihm ausgezeichnet stand. Donatus schien von seiner Verwundung fast gänzlich genesen, auch wenn seinem rechten Arm weiterhin die Kraft fehlte.
»Sachmet, du bist eine ägyptische Göttin!«, entfuhr es Antonia.
»Ich weiß«, erwiderte Sachmet mit einem Augenzwinkern.
Dann wandte Antonia sich Karim zu. »Warum kämpfst du nicht mit?«
»Das Lanzenstechen liegt mir nicht, und mit Säbeln wird hier nicht gefochten. Da sehe ich doch lieber von der Tribüne aus zu.«
» Ich hätte mich gern an diesem Spiel beteiligt.« Sachmet zog eine verärgerte Grimasse.
»Und dafür die Männer um diesen Anblick betrogen?« Donatus blitzte sie keck an, und der unwillige Zug in Sachmets Gesicht wich einem Lächeln.
Prüfend betrachtete Antonia ihre Mutter. Sie wirkte verändert, und die Last der Jahre schien von ihr abgefallen zu sein. Gewöhnlich verbarg sie ihr Haar unter einer Haube, wie es sich für verheiratete Frauen geziemte. An diesem Tag jedoch trug sie einen durchsichtigen hellgrünen Schleier, unter dem die Fülle ihres kunstvoll geflochtenen Haars zu erkennen war. Ihr Kleid war aus hellgrüner Seide gefertigt und mit dunkelblauen Borten verziert. Nie zuvor hatte Antonia ihre Mutter so gesehen – sie hatte die ernste Würde der Gräfin abgeworfen und zeigte etwas von der Verspieltheit einer verliebten Jungfer.
Lena bemerkte den Blick ihrer Tochter.
»Stört dich etwas an meiner Aufmachung?«, fragte sie mit einem Augenzwinkern.
»Nein, ganz im Gegenteil. Es ist nur so … ungewohnt.«
»Ich habe ein ähnliches Kleid bei Philips allererstem Turnier getragen. Und auch einen ähnlichen Schleier.« Vorsichtig strich sie mit der Hand über den Schleier. »Dies ist das letzte Turnier, das dein Vater in seinem Leben bestreitet. Ich hielt es für angemessen, gleichsam eine Brücke zum Anfang zu schlagen.«
Antonia bemerkte den verträumten Blick in den Augen der Mutter, der ihr etwas Unschuldiges, Mädchenhaftes verlieh.
»Es war das Turnier anlässlich von Mechthilds und Johanns Verlobung. Und ich sehnte mich so sehr danach, dass Philip mir endlich die Frage aller Fragen stellte. Drei Tage lang. Sobald ich glaubte, nun würde er mich endlich fragen, wich er mir wieder aus.«
»Aber er hat dich gefragt«, führte Antonia die Geschichte fort, die sie schon so oft gehört hatte. »Am Ende des Turniers, als er von dir den Siegeskranz erhielt.«
»Ja, das hat er.«
Stieg ihrer Mutter daraufhin wirklich eine sanfte Röte in die Wangen? Es musste wundervoll sein, so lange verheiratet zu sein wie ihre Eltern und sich den Zauber der ersten Liebe bewahrt zu haben. Bei dem Gedanken daran seufzte Antonia tief auf. Ihre Liebe war noch nicht zurückgekehrt. Was mochte Stephan widerfahren sein?
Während alle gemeinsam zur Tribüne schlenderten, gab sie Karim ein verstohlenes Zeichen. Gemeinsam blieben sie einige Schritte zurück.
»Hast du etwas von Stephan gehört?«, flüsterte sie.
»Nein, gar nichts.« Seine ernste Stimme verriet tiefe Besorgnis.
»Glaubst du, ihm ist etwas geschehen?«
»Er ist ein Mann, der sich aus allen Schwierigkeiten zu befreien weiß. Wir müssen Vertrauen haben.«
Antonia nickte. »Du kennst ihn besser als ich.«
»Nein«, widersprach er. »Du kennst ihn besser, denn du hast immer an ihn geglaubt. Ich habe ihn anfangs vollkommen falsch eingeschätzt.«
»Dafür kennst du ihn nun sehr gut.«
Karim nickte. »Und deshalb weiß ich, dass er sich aus jeder Falle befreien wird. So wie es der Fuchs in euren Geschichten stets tut. Er wird kommen, da bin ich mir ganz sicher. Die Frage ist nur – wann.«
Kurz nachdem Antonia und ihre Angehörigen ihre Plätze auf der Tribüne neben den Hohnsteinern eingenommen hatten, trafen die Regensteiner ein. Antonia konnte sich nicht erinnern, Ulfs Weib jemals bei einem Turnier gesehen zu haben. Heute jedoch war Irmela in Begleitung von Sibylla und Alheidis erschienen. Als die Frauen Antonias
Weitere Kostenlose Bücher