Die Tochter der Suendenheilerin
Abenteuer, das sie sich um keinen Preis entgehen lassen wollten, hatten sie doch nie erlebt, wie Blut und Tod über die Kämpfenden hereinbrachen. Nun gut, hier wäre es anders als in Damiette oder bei dem Gefecht gegen das Heer des Sultans, als … Stephan schüttelte den Gedanken ab. Warum um alles in der Welt verfolgten die Erinnerungen ihn so beharrlich? Hatte es mit Karim zu tun? Weil er ihm am finstersten Tag seines Lebens begegnet war?
Sie stiegen von den Pferden und versteckten sich im dichten Unterholz zu beiden Seiten des Pfads. Die Männer waren guter Dinge, selbst Alexander. Stephans Blick schweifte unwillkürlich zu Karim hinüber. Dessen Miene war unbewegt, er war der Einzige außer ihm selbst, der sich nicht von den Scherzen und der Vorfreude anstecken ließ.
Weil er dem Tod bereits begegnet ist, dachte Stephan. Nur wir wissen, dass Fehden und Kriege Schlimmeres bedeuten als Spiele für übermütige Knaben. Alexander mag es vom Verstand her erfassen, aber er hat niemals eine blutige Auseinandersetzung bestritten.
Die Zeit verging quälend langsam, während Stephan auf dem Boden lag und auf die Regensteiner wartete, das Schwert griffbereit neben sich. Obwohl weder die dichten Wälder noch der farnbewachsene Untergrund an die Wüste erinnerten, glitten seine Gedanken immer wieder in die Vergangenheit zurück. Nach der Eroberung von Damiette war er am Ziel seiner Träume gewesen. Beschwingt von seinen Erfolgen. Er war ein Ritter! Nie wieder müsste er sich von dem Regensteiner Bastard dumm anreden lassen. Und wenn das Glück ihnen hold blieb, würde auch Thomas die Ritterwürde erwerben. Spätestens wenn sie das Heer des Sultans stellten. Gott war mit ihnen. Sonst hätten sie die Festung der Heiden nicht so rasch erobern können. Obwohl ein kleiner Zweifel blieb, ob wirklich alles gottgewollt war. Er hatte gesehen, wie einige Männer sich in entfesselte Bestien verwandelten, auf alles einschlugen, selbst auf Kinder … Kinder … warum in Gottes Namen beherbergten die Heiden Kinder in ihren Festungen? Da war ihm plötzlich klar geworden, dass Damiette nicht nur eine reine Festung war, wie man ihm immer wieder versichert hatte. Damiette war eine Stadt. Eine Stadt mit unbewaffneten Bewohnern. In einem leeren Haus, das sie plünderten, hatte er sogar einen kleinen Altar mit Heiligenbildern entdeckt. Als er Thomas darauf hinwies, hatte der gemeint, dass es eine Beute der Ungläubigen sei. Die rechtmäßigen Besitzer seien von den Ungläubigen gewiss getötet worden. Damals hatte Stephan ihm nur allzu gern geglaubt. Inzwischen wusste er, dass dies nur eine von vielen Lügen war, die man ihnen erzählt hatte. Dabei hätte er es wissen müssen. Genau wie Thomas. Sie kannten Graf Philip, den Lehnsherrn ihres Vaters. Sie wussten, dass er in Ägypten geboren war. Aber Alexandria war nicht Damiette. Damiette war eine Festung. So hatte man ihnen erzählt, und sie hatten zu keiner Zeit an den Worten der Priester gezweifelt, die ihnen in der heiligen Messe vor der Schlacht stets gepredigt hatten, alles geschehe im Namen Gottes. Sie seien das Schwert des Herrn, um die Ungläubigen zu vertreiben. Gott sei mit ihnen, und wer in seinem Namen sterbe, dem sei das Himmelreich sogleich gewiss. Jede Sünde werde vergeben …
Stephan atmete tief durch. Noch immer spürte er bei tiefen Atemzügen einen kleinen Stich in der Rippengegend. Aber dieser Schmerz konnte seine Kampfkraft nicht schwächen.
Jede Sünde w erde vergeben … Inzwischen war es zu spät. Manche Sünde wog zu schwer, als dass ihr jemals Vergebung gewährt würde. Mochten die Pfaffen auch anders reden, er glaubte ihnen nicht mehr. Gott war nicht mit ihnen gewesen, er hatte sie verlassen …
»Sie kommen«, raunte jemand. Barthel? Stephan hörte, wie sich die ägyptischen Bogenschützen aufrichteten, die Sehnen spannten. Plötzlich hörte er wieder die Schreie der längst Gefallenen, drohte ihn die Erinnerung an das vergangene Grauen zu übermannen. Er schüttelte sie ab, erhob sich leise und schlich zu seinem Pferd, das weiter hinten im Wald wartete, geschützt vor fremden Blicken. Hinter ihm knackte ein Zweig. Er wandte sich um. Karim!
»Was folgst du mir?«, flüsterte er verärgert.
Karim wies mit einem Kopfnicken auf sein eigenes Pferd, das ganz in der Nähe angebunden war. Stephan entspannte sich.
Behutsam führten sie die Pferde in die Nähe des Hohlwegs und warteten. Das Rumpeln der Wagenräder kam näher. Es war ein Zug aus zwei
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