Die Tochter der Suendenheilerin
Alheidis war die Witwe seines Schwagers, eine resolute Mitdreißigerin, die kein Blatt vor den Mund nahm. Sibylla liebte ihre Tante, alle anderen fürchteten sie.
Alheidis saß bereits im Kaminsaal neben dem Hausherrn. Eberhard bemerkte den unwilligen Zug um den Mund seines Vaters. Trotzdem konnte er nicht umhin, Alheidis noch immer als höchst ansehnliche Frau wahrzunehmen. Ohne ihr widerwärtiges Mundwerk hätte sie durchaus einige Reize zu bieten gehabt. Sie besaß eine üppige Figur, und die schlanke Taille wurde durch einen flammend roten, geschickt geschnürten Surcot noch besonders betont.
»Sibylla, mein Häschen!« Sie sprang auf, eilte ihrer Nichte etwas schneller entgegen, als es der Schicklichkeit entsprach, riss sie in die Arme und drückte ihr einen Kuss auf jede Wange.
»Tante Alheidis, ich freue mich so!« Sibylla erwiderte die herzliche Begrüßung.
Dann wandte Alheidis sich Eberhard zu.
»Eberhard, ich freue mich, dich zu sehen. Irre ich mich, oder bist du ein wenig dicker geworden?« Sie schlug ihm mit der flachen Hand gegen den Leib. Eberhard hustete.
»Nicht mehr so stark auf der Brust?« Sie musterte ihn besorgt. »Dir fehlt ein treu sorgendes Weib an der Seite.«
»Danke für deine Anteilnahme«, nuschelte Eberhard und flüchtete sich aus ihrer Reichweite.
»Nun, es wundert mich nicht, dass sich außer mir keine anständigen Frauen mehr nach Regenstein wagen. Ihr werdet mir nicht glauben, was mir auf dem Weg hierher widerfahren ist!« Alheidis setzte sich wieder und blickte in die Runde. Eberhard und sein Vater wichen ihren Blicken tunlichst aus.
»Was ist dir widerfahren, Tante Alheidis?« Sibylla nahm neben ihr am Tisch Platz.
»Ich habe ja schon einiges über Heidenpack gehört, das sich in den Wäldern herumtreiben soll, Orgien veranstaltet und angeblich nackt den Waldgeistern huldigt. Doch bislang hielt ich alles für das abergläubische Geschwätz dummer Bauern. Aber heute …« Sie zog ein besticktes Tüchlein hervor und tupfte sich das Gesicht. »Ob ihr es glaubt oder nicht, da streunten wirklich nackte Männer durch den Wald. Und als sie uns gewahrten, sprangen sie sofort in die Büsche. Ich sah nur noch ihre weißen Hinterbacken blitzen.«
»Tante Alheidis!« Sibylla schlug sich die Hand vor den Mund.
»Ja, so war es. Ulf, es ist an der Zeit, die Wälder zu durchkämmen. Einer ehrbaren Frau könnte ja das Herz in der Brust stehen bleiben, wenn sich hier nackte Lüstlinge herumtreiben, die womöglich noch heidnischem Aberglauben frönen!«
»Bist du dir sicher, dass da nicht eher der Wunsch der Vater des Gedankens war?«, brummte Ulf.
»Du willst doch nicht etwa behaupten, ich hätte Sehnsucht nach einem Aufmarsch nackter Ärsche! Ulf, ich bin empört. Schick auf der Stelle deine Männer los, dieses heidnische Pack einzufangen!«
Aus dem Burghof erhob sich ein Tumult.
»Ist Euch etwa zu warm geworden?«, hörten sie einen der Männer von unten brüllen. Gejohle, wieherndes Gelächter. Tante Alheidis stand auf und trat ans Fenster.
»Pfui!«, schrie sie. »Jetzt wagen diese Kreaturen sich schon hierher! Ulf, unternimm auf der Stelle etwas dagegen!«
Sibylla war bereits an der Seite ihrer Tante und schlug erneut die Hand vor den Mund. Eberhard folgte ihr und erstarrte. Zwei von seinen Männern standen nackt im Hof. Wenn er sich recht erinnerte, waren sie noch vor dem Morgengrauen mit Meinolf und einer Handvoll weiterer Männer nach Alvelingeroth aufgebrochen.
»Haltet bloß das Maul!«, brüllte einer der beiden Nackten. »Die anderen sehen nicht besser aus, nur ist das Los auf uns gefallen, ihnen Kleider zu bringen.«
»Siehst du?« Alheidis stieß Ulf, der sich mittlerweile ebenfalls am Fenster eingefunden hatte, mit dem spitzen Zeigefinger gegen das Brustbein. »Habe ich’s nicht gesagt? Ich verlange, dass du diese Wüstlinge sofort einsperren lässt!«
Unwirsch schob Ulf Alheidis’ Hand beiseite und eilte aus dem Saal in den Hof hinunter. Eberhard folgte seinem Vater.
Die beiden Nackten waren bereits verschwunden, tauchten aber kurz darauf ordentlich angezogen mit weiteren Kleidungsstücken über den Armen wieder auf.
»Was ist euch widerfahren?« Ulf musterte die Männer streng. Flammende Röte ergoss sich über die Gesichter der beiden. Sie waren es nicht gewohnt, so ohne Umschweife vom Grafen angesprochen zu werden.
»Wir … wir hatten Pech«, stammelte der eine. »Herr Meinolf wird es Euch gewiss berichten. Er wartet auf uns.«
»Er wartet auf euch?
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