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Die Tochter der Suendenheilerin

Die Tochter der Suendenheilerin

Titel: Die Tochter der Suendenheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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»Ein schlechtes Gewissen?«
    Karim nickte. »Was auch immer ich tue, ich habe ständig das Gefühl, dir unrecht zu tun.«
    »Und tust du mir unrecht?« Stephan trank einen weiteren Schluck.
    »Anfangs schon.«
    »So?«
    »Ich habe dich für einen dieser Mörder gehalten, die nach der Niederlage des Kreuzritterheers die Straßen unsicher machten.«
    »Und nun?«
    »Wie du so schön zu sagen pflegst – ich weiß nichts von dir. Nur dass du kein Mörder bist.«
    »Wie kannst du dir so sicher sein?«
    »Du hast schon einmal ein Kind aus dem Feuer gerettet.«
    »Woher willst du wissen, dass es ein Kind war und keiner meiner Kameraden?«
    »Es war ein Kind«, beharrte Karim.
    Stephan stürzte seinen Wein in einem Zug hinunter.
    »Ich habe recht, nicht wahr?«, bohrte Karim nach. »Und es war kein christliches Kind.«
    »Hör auf damit!« Stephan griff nach dem Krug und schenkte sich nach.
    »Gut, ich höre auf«, erwiderte Karim mit einem Schulterzucken und goss sich ebenfalls den Becher wieder voll.
    Eine Weile schwiegen sie.
    Stephan fühlte sich unbehaglich. Irgendetwas in ihm drängte danach, Karim von dem Feuer in Kairo zu erzählen. Zugleich befürchtete er, sich auszuliefern, wenn er zu viel von sich preisgab. Er leerte den zweiten Becher und schenkte sich abermals nach.
    »Du möchtest die Geschichte hören?«, fragte er schließlich.
    »Ja.«
    »Also gut.« Stephan holte tief Luft. Der Wein war schwer, aber er löste die Zunge.
    »Du weißt von unserer Niederlage bei Kairo.«
    Karim nickte.
    »Bald hunderttausend Mann gerieten damals in Gefangenschaft«, fuhr Stephan fort. »Mein Bruder Thomas und ich waren darunter. Die Sarazenen suchten nach Edelleuten, von denen sie sich reiches Lösegeld versprachen. Für die Übrigen hatten sie keine Verwendung.«
    »Ich weiß. Es heißt, der Boden der Wüste sei knöchelhoch mit dem Blut der Enthaupteten bedeckt gewesen.«
    »Thomas und ich gehörten zu denen, die dem Tod geweiht waren. Wir wurden zusammen mit zahlreichen anderen Männern in einem Verschlag innerhalb der Stadtmauern Kairos eingesperrt. Es waren so viele Gefangene, viel zu viele, als dass man sie alle sofort hätte töten können. Zu unseren Mitgefangenen gehörte ein Franzose, Ambroise Lacroix, einer der selbstgefälligsten Männer, die mir jemals begegnet sind. Und von berechnender Schlauheit. Keiner von uns hatte Lust, seinen Kopf zu verlieren. Lacroix heckte einen hinterhältigen Plan aus. Es war kein Ding der Unmöglichkeit, aus dem Verschlag zu entkommen. Aber es wäre immer nur wenigen gleichzeitig gelungen, wenn die anderen ihnen dabei halfen. Bevor diese Männer jedoch das Tor geöffnet hätten, wären die Wächter längst herbeigestürmt. Die Schwierigkeit lag also darin, allen die Flucht zu ermöglichen, Pferde zu beschaffen und aus der Stadt zu fliehen. Und die Zeit drängte, denn die Hinrichtungen hatten bereits begonnen. Wir hatten Glück, dass man uns in der Stadt gefangen hielt. Die Ersten, die das Schicksal traf, waren jene, die man in der Wüste bewachte.« Stephan hielt einen Augenblick lang inne und nahm einen Schluck.
    »Lacroix schlug vor, dass drei von uns den Verschlag verlassen und in der Stadt heimlich Feuer legen sollten. Er meinte, wenn die Quartiere der Stadtwache brennen würden, könne man uns nicht verfolgen. Wir waren etwa einhundert Männer, und die Aussicht, mit dem Leben davonzukommen, verlieh uns den Mut, alles zu wagen. Lacroix und zwei andere wurden von uns über die hohe Palisade gehoben. Wir hörten das dumpfe Geräusch, als sie die Wächter niederschlugen und deren Waffen an sich nahmen. Ich frage mich bis heute, warum unsere Aufseher so unaufmerksam waren. Vermutlich dachten sie, wir seien zu geschwächt, um einen Ausbruch zu wagen. Wir hatten seit zwei Tagen kein Wasser erhalten, geschweige denn einen Bissen Nahrung. Wozu auch – wir sollten ja sterben. Einige der Schwächeren hatte der Tod bereits dahingerafft. In der drangvollen Enge hatten wir ihre Leichname in einer Ecke übereinandergeschichtet. Vielleicht kannst du dir den Dreck und Gestank vorstellen, der dort herrschte. Hundert Männer auf engstem Raum, so eng, dass du gerade genügend Platz hast, dich auf den Boden zu kauern.«
    Karim schenkte sich schweigend einen Becher Wein nach.
    »Lacroix’ Plan schien aufzugehen«, erzählte Stephan weiter. »Ich kann nicht genau sagen, wie viel Zeit vergangen war, aber schon bald hörten wir Schreie und sahen den roten Schein des Feuers am Himmel. Das Tor zum

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