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Die Tochter der Suendenheilerin

Die Tochter der Suendenheilerin

Titel: Die Tochter der Suendenheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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Burg Birkenfeld weilte, um in der kleinen Kapelle am gemeinsamen Morgengebet teilzunehmen.
    Der Geistliche machte einen müden, hungrigen Eindruck, und ungewollt bekam sie Mitleid mit ihm. War es wirklich rechtens, ihm die fromme, asketische Familie vorzuspielen und sich heimlich des Nachts im Vorratskeller den Wanst vollzuschlagen?
    Nach dem Frühgebet trafen sich alle in der Küche. Auch hier gab es wieder nur ein karges Mahl aus Brot und hartem Käse.
    »Herr Philip, auch wenn es ungehörig erscheinen mag, ich muss ein ernstes Wort mit Euch wechseln«, setzte der Kaplan an.
    Antonias Vater lehnte sich auf der Bank zurück, schob seinen Brotkanten beiseite und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Ich höre, Herr Kaplan.«
    »Eure Frömmigkeit in allen Ehren, Herr Philip, aber glaubt Ihr wahrhaftig, es sei gottgefällig, die Euch Anvertrauten hungern zu lassen? Vor allem die jungen Männer, die doch stark sein müssen, um im Kampf gegen Eure Fehdegegner zu bestehen.«
    »Gott ist mit denen, die im Recht sind.«
    »Nirgendwo steht geschrieben, dass es von fehlender Demut zeugt, wenn ein Vater seinen Kindern ausreichend zu essen gibt.«
    »Ihr werft mir vor, ich lasse meine Kinder hungern?«
    »Herr Kaplan«, mischte sich nun auch Antonias Mutter ein, »ich muss Euch aufs Schärfste widersprechen. Mein Gatte ist der fürsorglichste und beste Vater, den ich mir für meine Kinder wünschen kann.«
    »Und warum gibt es dann nur trockenes Brot und Fisch?«
    »Hat nicht unser Herr Jesus Christus fünftausend nur mit Brot und Fisch gespeist, Herr Kaplan?« Lena maß den Geistlichen mit strengem Blick. »Wenn unser Herr meint, diese Speise sei angemessen, so ist sie das auch für uns.«
    Hugo schwieg, und Antonia bemerkte, wie Sachmet sich mühsam das Lachen verbiss.
    »Dürfte ich mich auch dazu äußern?«, warf Alexander mit unterwürfiger Stimme ein. »Es wäre für mich der höchste Genuss, wenn es am Sonntag wieder einmal Fleisch zum Mittagsmahl gäbe.«
    »Und vergisst darüber vor Gier deinen Bruder und deine Schwester, die in der Gewalt der Regensteiner darben?«, donnerte Philip seinen Sohn so heftig an, dass alle unwillkürlich zusammenzuckten.
    »Verzeih, Vater, das Ansinnen war ungehörig von mir.«
    Antonia biss sich auf die Lippen, um nicht laut loszulachen. Sachmet hustete und lief aus dem Küchenhaus.
    »Jetzt hast du Sachmet verschreckt«, tadelte Lena ihren Gatten. »Antonia, sieh nach, was deiner Base fehlt!«
    Sie sah das schalkhafte Blitzen in den Augen ihrer Mutter. Vermutlich hatte Lena bemerkt, dass ihre Tochter sich ebenfalls nicht mehr lange beherrschen konnte.
    »Ja, Mutter.« Antonia erhob sich und verließ die Küche. Vor der Tür traf sie Sachmet, die sich die Lachtränen von den Wangen wischte. Aus der Küche erhob sich jedoch ein ganz anderes Donnerwetter. So laut, dass Antonia vorsichtig die Tür öffnete. Selbst Sachmets Lachen verebbte, und neugierig trat sie neben Antonia, um gemeinsam mit ihr durch den Spalt zu linsen.
    »Es reicht, Herr Philip!«, schrie Hugo. »Mir scheint, Euer Gottesbild enthält nichts von der allgegenwärtigen Liebe des Schöpfers, sondern nur seine Strenge. Aber Gott ist mehr! Er mahnt uns, mit unserem Leib ebenso wohlgefällig zu verfahren wie mit unserer Seele. Demut und Bescheidenheit sind nur dann Zierden, wenn sie nicht zum Hochmut verkommen. Anfangs warnte man mich, ich würde hier auf Häresie und Ketzerei stoßen. Aber mir scheint, Ihr bedürft einer ganz anderen Hilfe.«
    Philip runzelte die Stirn. »Ihr maßt Euch recht viel an, Herr Kaplan.«
    »Das mag sein, aber es ist zu Eurem Besten.«
    »So? Vielleicht sollte ich dem Bischof eine Nachricht zukommen lassen«, entgegnete Antonias Vater. »Dass Ihr Eurem Ruf nicht gerecht werdet, sondern fromme Menschen zur Sünde und Völlerei auffordert. Und ich hatte mir einen Mann an meiner Seite erhofft, der mir gerade in diesen schweren Tagen mit Strenge und Tatkraft zur Seite steht, damit wir uns der Gnade Gottes gewiss sein können.«
    Antonia sah, wie der Kaplan bei der Erwähnung des Bischofs in sich zusammensank und jedes weitere Wort ihres Vaters wie Schläge entgegennahm.
    »Wenn es Euch beliebt, wendet Euch an den Bischof«, sagte der Kaplan mit deutlich leiserer Stimme. Dann erhob er sich und schickte sich an, die Küche zu verlassen. Hastig verschwanden Antonia und Sachmet von der Tür und versteckten sich hinter dem Küchenhaus.
    »Irgendetwas stimmt da nicht«, raunte Sachmet Antonia zu.

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