Die Tochter der Suendenheilerin
ich?«
»Heute Abend auf dem Wehrgang. Ich bringe den Wein mit.«
Stephan schwieg.
»Wirst du dort sein?«
»Vielleicht.«
»Immerhin kein Nein.« Karim grinste, nahm seinen Bogen und den Köcher vom Sattelhorn und warf sich beides über die Schulter.
Auch Stephan griff nach seinem Bogen. Es war lange her, seit er mit dieser Waffe zum letzten Mal gejagt hatte.
Alexander stand mit Christian und Donatus etwas weiter vorn. Zur Sicherheit wurden sie von drei der insgesamt fünf Waffenknechte begleitet. Diese nahmen jedoch nicht an der Jagd teil, sondern achteten darauf, ob sich Feinde näherten. Die Jagd blieb Alexander, Christian, Donatus, Karim und Stephan selbst vorbehalten. Und natürlich Sachmet mit ihrer Gepardin, falls sich geeignetes Wild zeigen sollte. Stephan hatte niemals eine Gepardenjagd beobachtet, obwohl Nebet nicht der erste Gepard war, mit dem er Bekanntschaft gemacht hatte. Rafik ben Tahir hatte ebenfalls ein solches Raubtier besessen.
Rafik ben Tahir … Stephan atmete tief durch. In letzter Zeit holte ihn die Vergangenheit allzu oft ein.
Während die Waffenknechte die Gegend überprüften, teilten sich die Jäger. Antonia, Sachmet, Karim und Stephan bildeten eine Gruppe, während Christian bei Alexander und Donatus blieb. Stephan hatte den Eindruck, dass Christian über diese Fügung nicht sonderlich glücklich war, doch sein Mitleid hielt sich in Grenzen. Der Fuchs war nicht umsonst das Wappentier seiner Familie.
Aber wozu jagte der Fuchs, wenn er die sichere Beute bei Erfolg verschmähte? War sie vielleicht zu groß für einen Fuchs?
Alexander und seine Begleiter verschwanden kurz darauf im Wald, während Sachmet mit Nebet auf der Lichtung blieb.
»Ich glaube kaum, dass du in diesem Gelände Erfolg haben wirst«, meinte Karim. »Wenn sich hier wirklich Wild aufhielt, dann ist es bei unserer Ankunft schleunigst verschwunden.«
»Aber im Wald kann ich mit ihr nicht jagen.« Sachmet klang enttäuscht. »Nebet muss ihre Schnelligkeit einsetzen.«
»Wir werden Nebet das Wild zutreiben«, versprach Stephan. »Kommst du mit, Karim?«
Der Ägypter nickte und folgte ihm.
In seiner Jugend war Stephan oft auf der Jagd gewesen. Das heimliche Anpirschen war ihm die liebste Art. Doch auch die Drückjagd gefiel ihm, wenn einige Jäger den Wartenden langsam das Damwild zutrieben, ganz behutsam, ohne es zu hetzen. So hatte er meist mit seinen Brüdern gejagt. Fasan und Hase mochten schmackhaft sein, aber das Leder von Reh und Hirsch brachte gute Preise bei den Händlern. Und auf dieses Geld war seine Familie angewiesen gewesen.
Stephan liebte die frühsommerlichen Wälder, den Duft der Kiefern und feuchten Blätter, den Gesang der Vögel und das leise Rascheln des Wilds, das ein Unerfahrener leicht mit dem Rauschen des Windes verwechselte. Er kannte die Spuren und Losungen, auf die er zu achten hatte. Viel zu lange war es her, dass er im Wald gejagt hatte, aber er hatte nichts vergessen. Hier kam es ihm so vor, als hätte es die vergangenen sechs Jahre nicht gegeben.
Karim folgte ihm beinahe lautlos, achtete Stephans Erfahrung. Beide schwiegen, und doch wusste Stephan, dass Karim ihn auch ohne Worte verstand. Bei dem Gedanken an dieses stille Einverständnis spürte er einen Stich in der Brust. Zuletzt hatte er so empfunden, als er mit Thomas auf der Jagd gewesen war.
Ein Rascheln! Stephan verharrte auf der Stelle. Karim berührte ihn an der Schulter und sah ihn fragend an. Stumm deutete Stephan auf das Strauchwerk vor ihnen. Es waren mindestens drei Rehe. Karim griff nach dem Bogen, doch Stephan schüttelte den Kopf. Wenn sie sofort schossen, mochten sie zwei Rehe erlegen, aber Sachmet wäre um die Jagd gebracht. Zu seiner Erleichterung verstand Karim sofort und ließ die Waffe los.
Vorsichtig zogen sie sich einige Schritte zurück, um sich den Tieren im großen Bogen von der anderen Seite zu nähern. Der Wind stand günstig, und das Wild nahm ihre Witterung erst auf, als sie sich hinter ihm befanden. Doch es war keine wilde Flucht. Fast schienen die Rehe vor ihnen davonzuschleichen. Stephan und Karim tauschten einen zufriedenen Blick. Die Beute hatte die richtige Richtung eingeschlagen.
Antonia wartete ungeduldig neben Sachmet, die Nebet nach wie vor an der Leine hielt und den Waldsaum beobachtete.
»Da!« Sachmet deutete auf drei Rehe, die sich vorsichtig auf der Lichtung zeigten. Antonia sah, wie Nebets Leib erzitterte, so als wisse die Raubkatze ganz genau, dass ihr großer Augenblick
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