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Die Tochter der Suendenheilerin

Die Tochter der Suendenheilerin

Titel: Die Tochter der Suendenheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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bedrängen.

 30. Kapitel  
    D u bist schon da?« Karim trat auf den Wehrgang und musterte Stephan mit einem Lächeln. In seinen Händen hielt er einen Krug Wein und zwei Becher. »Mein Onkel hat leider nur diesen einen herausgerückt. Er meinte, ich solle es nicht übertreiben, sonst könnte er meinem Vater nicht mehr in die Augen sehen.« Er stellte den Wein und die Becher auf die Mauer.
    »Das hatte ich befürchtet«, entgegnete Stephan. »Und habe vorgesorgt.« Er wies auf einen zweiten Krug, der zwischen den Schießscharten stand. »Ist allerdings nur Schlehenwein.«
    Karim lachte leise. »Welchen trinken wir zuerst?«
    Statt einer Antwort griff Stephan nach dem Schlehenwein und füllte die Becher.
    »Und wer fängt an zu erzählen?«, fragte Karim weiter, während Stephan ihm einen Becher reichte.
    »Du.«
    »Warum ich?«
    »Weil wir meinen Wein trinken.«
    »Klingt nach einem ausgeglichenen Handel.« Karim nahm einen Schluck. »Mhm, dieser Schlehenwein ist gar nicht so schlecht.«
    Er drehte den Becher in der Hand. »Ich soll also anfangen? Nun gut.« Er hielt eine Weile inne, so als müsse er seine Gedanken ordnen. »Ich nehme an, du warst in Damiette, nicht wahr?«
    Stephan nickte schweigend.
    »Ich war auch dort.«
    »Bei der Eroberung?« Stephan hob erstaunt die Brauen.
    »Nein«, wehrte Karim ab. »Erst einige Tage später, als es darum ging, die Flüchtlinge zu retten. In Damiette lebten viele Familien, darunter auch Christen. Aber das war gewissen anderen Christen wohl gleich, die meinten, der Herr werde die Seinen schon erkennen, wenn man alle totschlüge.«
    Stephan nahm die Bitterkeit in Karims Stimme wahr. »Ich habe es erst erfahren, als wir Damiette plünderten«, sagte er leise.
    »Und was hast du daraufhin getan?« In Karims Stimme lag kein Vorwurf, nur der Schmerz alter Erinnerungen.
    »Nichts. Ich wollte nicht glauben, was ich sah. Alles, was mir bis dahin etwas bedeutet hatte, wäre Lügen gestraft worden.« Wieder fühlte er die Unsicherheit, die Schuldgefühle, die ihn damals übermannt hatten, als sie das verlassene Haus geplündert hatten und dabei christliche Symbole und Hinweise auf Kinder fanden. Hätte er etwas tun können? Etwas ändern können? Karims Frage gab der alten Schuld neue Nahrung. »Noch sind wir bei deiner Geschichte, nicht bei meiner«, sagte er schließlich.
    »Bei meiner Geschichte, ja.« Karims Blick verharrte auf dem Becher in seiner Hand. Es dauerte eine Weile, bevor er weitersprach. »Einige von uns hatten sich zusammengeschlossen, um den Flüchtlingen ein sicheres Geleit zu geben. Ein gefährliches Unterfangen, denn wir mussten heimlich die Linien des Kreuzfahrerheers durchbrechen. Zum Glück für uns war das am dritten Tag nach der Eroberung nicht mehr sonderlich schwierig, weil die Feinde in ihrem Triumph schwelgten und kaum noch darauf achteten, was ringsum geschah.«
    Stephan nickte. Er erinnerte sich gut an die betrunkenen Männer, die sich an ihrer Beute ergötzten und die Tugenden der Ritterschaft oder christlicher Nächstenliebe grob missachteten. In jenen Tagen war es ihm zunehmend schwergefallen, an die Rechtmäßigkeit seines Tuns zu glauben. In tiefer Verunsicherung hatte er sich an einen Priester gewandt, doch der hatte ihm lediglich versichert, dass Gott ihm seine Taten im Himmel lohnen werde. Keine Erklärung, keine Antwort, warum auch Kinder sterben mussten. Kein Wort zu Taten, die eigentlich in der Hölle hätten gesühnt werden müssen.
    »Es gelang uns, zahlreiche Flüchtlinge von Damiette nach Alexandria zu bringen«, fuhr Karim fort. »Sieben Tage lang ging alles gut. Dann, am achten Tag, wurden mehrere Kreuzritter auf uns aufmerksam. Aber statt sich mit ihren Angriffen auf uns Männer zu beschränken, griffen sie auch die Frauen und Kinder an. Einem kleinen Mädchen trennte ein Schwerthieb den Arm ab. Daraufhin verlor ich jede Zurückhaltung, mein klares Denken wich heißer Wut. Ich griff den Mann und seine beiden Begleiter an, ohne auf meine eigene Sicherheit zu achten. Ich weiß nicht, ob du dieses Gefühl kennst, wenn der Körper von allein handelt, die Waffe ins Fleisch des Gegners fährt und du nichts als Genugtuung empfindest. Wenn ein Mann allein zum unüberwindlichen Kämpfer gegen drei stärkere Gegner wird. Allein aus Wut.« Karim stürzte seinen Becher in einem Zug hinunter. »Als sie dann tot vor mir lagen, kam ich wieder zur Besinnung. Meine Gefährten starrten mich an, als wäre ich ein wild gewordener Dschinn. Aber keiner

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