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Die Tochter der Suendenheilerin

Die Tochter der Suendenheilerin

Titel: Die Tochter der Suendenheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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den Sklavenunterkünften gebracht. Da gab es mehrere Bereiche. Wir kamen nach ganz hinten, nochmals durch eine Tür von den übrigen Schlafstellen getrennt. An der Wand hinter den Strohsäcken, die als Nachtlager dienten, waren lange Ketten befestigt. Wir mussten uns hinknien, dann wurden die Ketten an den Halseisen befestigt. Stell es dir ungefähr so vor, als würde man Hunde an die Kette legen. Wir waren so entkräftet, dass wir nicht die geringste Gegenwehr leisteten. Einer der Männer stellte offenbar eine Frage, deren Inhalt ich nicht verstand. Thomas nannte daraufhin unsere Namen. Der Mann antwortete etwas und verließ mit seinen Begleitern die Unterkunft.
    ›Er sagt, wir bekommen gleich zu essen, und jemand wird sich um deine Wunden kümmern‹, raunte Thomas mir zu. Essen … die Schmerzen waren so stark, dass ich keinerlei Hunger verspürte. Mir war aber klar, dass ich mich zum Essen zwingen musste, wollte ich am Leben bleiben.
    ›Hör zu‹, sagte Thomas, sobald wir wieder unter uns waren. ›Wir müssen uns anpassen, unauffällig sein und beobachten. Wir werden keinen Widerstand leisten und jegliche Anweisung befolgen. Dabei sollten wir alle Hinweise sammeln, die unserer Flucht dienlich sein könnten. Aber wir dürfen auch nichts überstürzen. Wir haben nur einen Versuch, und der muss auf Anhieb gelingen.‹
    Ich nickte schwach. Der Gedanke an Flucht erschien mir in jenem Augenblick so fern, konnte ich doch kaum aus eigener Kraft stehen. Aber Thomas hatte recht – wir durften nicht übereilt vorgehen, mussten vorsichtig sein und so listig wie unser Wappentier, der Fuchs.«
    Stephan griff nach dem Krug mit Schlehenwein, doch der war inzwischen leer. Karim bemerkte es.
    »Deine Geschichte, mein Wein«, sagte er und schenkte Stephan nach.
    »Danke.« Stephan trank einen Schluck, dann fuhr er fort. »Kurz nachdem die Männer verschwunden waren, kamen zwei Frauen. Sie trugen Körbe und Wasserkrüge. Sie waren etwa in unserem Alter, nicht hässlich und ähnelten sich. Zwischen ihnen und Thomas entspann sich gleich ein Gespräch, das wohl ziemlich lustig war, denn alle lachten. Ich hingegen war verwirrt.«
    »Das kann ich mir vorstellen«, meinte Karim. »Hat Thomas dir übersetzt?«
    Stephan nickte. »Du musst wissen, dass Thomas und ich uns sehr ähnlich sahen, und Thomas war nur zehn Monate älter als ich. Im Kreuzfahrerlager hatte man uns immer wieder gefragt, ob wir Zwillinge seien.« Bei der Erinnerung an seinen Bruder verzogen sich Stephans Lippen zu einem schwachen Lächeln. »Thomas pflegte dann zu sagen: ›Nein, mein Bruder kommt immer zu spät.‹ Genau das erzählte er den beiden Frauen. Daher das Gelächter. Sie waren Schwestern und zudem koptische Christinnen. Vor Jahren war ihr Dorf bei Unruhen überfallen worden. Die Männer hatte man getötet und Bespina, ihren kleinen Sohn Zeki sowie ihre jüngere Schwester Amira in die Sklaverei verschleppt. Während die Frauen uns zu essen gaben und Bespina sich um meine Brandwunden kümmerte, versicherten sie uns, dass ihr Los recht erträglich sei. Voraussetzung sei jedoch, dass sie sich gut mit Wakur stellten, dem Sklavenaufseher, der uns hergebracht hatte. Das sei nicht schwer, berichteten sie weiter, denn Wakur sei gerecht. Allerdings dulde er keinen Ungehorsam und keine Frechheiten. Wenn er etwas anordne, sollten wir uns nicht dagegen wehren, sondern ihm gehorchen. Im Gegenzug lasse er die Sklaven weitgehend in Ruhe. Tja, und dann hätte Thomas gleich am nächsten Tag beinahe seine erste Auseinandersetzung mit Wakur gehabt.«
    »Das klingt nicht gut.«
    Stephan trank noch einen Schluck.
    »Es gab Regeln, die nahmen wir widerspruchslos hin, auch wenn sie uns erniedrigten und wir uns innerlich dagegen auflehnten. Eins dieser Rituale bereitete mir anfangs große Schwierigkeiten.« Stephan hielt kurz inne, bevor er weitersprach. »Mit zusammengebissenen Zähnen, aber klaglos ertrugen wir die Art und Weise, wie wir abends an die Kette gelegt wurden. Wir mussten niederknien, damit Wakur die Kette am Halseisen befestigen konnte. Morgens erfolgte das Gleiche. Niederknien, damit er die Kette lösen konnte. Ich bebte vor Zorn, hielt jedoch den Mund. Viel schlimmer war das, was am zweiten Abend geschah. Aufgrund meiner Verwundung blieb ich in den nächsten Tagen noch in der Sklavenunterkunft, während Thomas zum ersten Mal zur Arbeit geholt wurde. Mir ging es immer noch sehr schlecht, und als Thomas am Abend zurückgebracht wurde und niederkniete, damit

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