Die Tochter der Tryll Verborgen Band 1
alle Tryll kennenlernen durften, also nahm der Empfang kein Ende. Mein Gesicht schmerzte vom Lächeln, und ich hatte schon alle Möglichkeiten, »S chön, Sie kennenzulernen« zu sagen, ungefähr hundertmal von mir gegeben.
Danach gingen wir in den Speisesaal, wo es exklusiver wurde. An die Tafel passten nur hundert Gäste (richtig– nur hundert). Zwischen mir und Willa lagen fünf Stühle, und ich fühlte mich völlig verloren.
Immer, wenn ich unsicher wurde, hielt ich instinktiv nach Finn Ausschau und musste dann jedes Mal wieder feststellen, dass er nicht da war. Ich versuchte, mich darauf zu konzentrieren, tadellose Tischmanieren an den Tag zu legen, was gar nicht so einfach war, denn mir war schlecht und mein Kiefer schmerzte vom falschen Lächeln.
Meine Mutter saß direkt neben mir am Kopf der Tafel und Tove Kroner saß zu meiner Linken. Während des Essens sagte er kaum ein Wort, und Elora machte höflich Konversation mit dem Kanzler.
Der Kanzler schien in mir nicht die tropfnasse Kreatur wiederzuerkennen, die er vor ein paar Tagen in der Eingangshalle gesehen hatte. Darüber war ich froh. Aber seine aufdringlichen Blicke waren mir sehr unangenehm, und ich schaffte es nicht, ihn anzulächeln, sonst hätte ich kotzen müssen.
»T rink mehr Wein«, schlug mir Tove leise vor. Er hielt ein Weinglas in der Hand und beugte sich leicht zu mir, damit ich ihn verstehen konnte. Er ließ seine moosgrünen Augen kurz auf mir ruhen, wandte dann aber schnell den Blick ab und starrte auf einen Punkt neben meiner Schulter. »D er entspannt die Muskeln.«
»W ie bitte?«
»W egen des Lächelns.« Er deutete auf seinen Mund und lächelte gezwungen. »E s tut allmählich weh, richtig?«
»J a.« Ich lächelte ihn an und merkte, dass meine Mundwinkel unangenehm spannten.
»D er Wein hilft. Vertrau mir.« Tove nahm einen tiefen, nicht besonders feinen Schluck und ich bemerkte, dass Elora ihn tadelnd ansah, während sie weiter mit dem Kanzler sprach.
»D anke.« Ich folgte seinem Rat, trank aber viel langsamer, weil ich Elora nicht gegen mich aufbringen wollte. Ich glaubte zwar nicht, dass sie mich öffentlich bloßstellen würde, aber irgendwann hätte ich mit Sicherheit dafür bezahlt.
Während des Essens wurde Tove immer unruhiger. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und ließ die Hand auf dem Tisch liegen. Sein Weinglas glitt immer wieder auf ihn zu und dann wieder weg, ohne dass er es berührte. Ich hatte diesen Trick schon mal gesehen, aber ich musste trotzdem glotzen.
»D u bist ziemlich gestresst, stimmt’s?«, fragte Tove und sah mich an. Ich wusste nicht, ob er gesehen hatte, dass ich ihn beobachtete, schaute aber trotzdem schnell auf meinen Teller.
»J a, ein bisschen.«
»D as merke ich.« Er beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Elora platzte wahrscheinlich vor Wut.
»I ch versuche, ganz ruhig zu bleiben.« Ich spießte abwesend ein Stück Gemüse auf, das ich nicht essen wollte. »I ch finde eigentlich, dass ich mich ganz gut schlage.«
»D u verhältst dich tadellos. Ich spüre es nur.« Tove tippte sich an die Schläfe. »I ch kann es dir nicht erklären, aber… ich weiß, wie angespannt du bist.« Er biss sich auf die Lippe. »D u sendest deine Emotionen sehr kraftvoll aus.«
»V ielleicht«, räumte ich ein. Sein Blick war irritierend, und ich wollte mich nicht mit ihm streiten.
»K leiner Tipp: Setze sie heute Abend ein.« Toves Stimme war wegen des Geplappers kaum zu hören. »D u versuchst, es allen recht zu machen, und das laugt dich völlig aus. Man kann es nicht allen recht machen, also versuche ich, es niemandem recht zu machen. Meine Mutter hasst mich dafür, aber…« Er hob die Schultern. »W enn du ein bisschen Überzeugung einsetzt, dann wirst du sie alle bezaubern, ohne dich anstrengen zu müssen.«
»E s ist aber anstrengend, Überzeugungskraft zu benutzen«, flüsterte ich. Ich spürte, dass Elora uns zuhörte und unser Gesprächsthema wahrscheinlich nicht guthieß. »D anach wäre ich genauso erschöpft.«
»H m«, machte Tove nachdenklich und lehnte sich wieder zurück.
»T ove, der Kanzler sagte mir gerade, du würdest im Frühling vielleicht bei ihm arbeiten«, unterbrach uns Elora mit fröhlicher Stimme. Ich schaute sie nur eine Sekunde lang an, aber sie schaffte es, mich in diesem Moment wütend anzustarren, bevor sie wieder ihr Gastgebergesicht aufsetzte.
»M eine Mutter möchte das«, korrigierte Tove sie. »I ch habe kein Wort zum Kanzler
Weitere Kostenlose Bücher