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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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holen, war der Hund aufs Bett gesprungen und hatte sich neben ihn gelegt, sanft mit dem Schwanz wedelnd. Linns Miene sagte mir, dass sie hoffte, ich würde so tun, als hätte ich nichts bemerkt.
    »Gut gemacht, Simon«, sagte ich, hielt ihm einen Becher Wasser hin, und diesmal trank er; er war zu erschöpft, um zu widersprechen, und weit jenseits aller Angst. »Vielleicht kannst du jetzt schlafen – einer von uns wird hier sein, wenn du jemanden brauchst. Linn!« Ich schnippte mit den Fingern. »Runter mit dir!«
    »Nein …« Seine Stimme war so leise, dass ich ihn kaum verstand. »Lass sie hier.« Er legte die Hand auf ihr drahtiges graues Fell.
    Ich wollte Vater Brien holen. Ich war zu müde, um Hunger zu verspüren, aber meine Arbeit für diesen Tag war noch nicht vorüber.
    »Nein.«
    Ich warf ihm einen Blick zu.
    »Bleib.«
    »Ich bin kein Hund, der dir einfach gehorcht«, sagte ich. »Ich muss etwas essen, und das solltest du ebenfalls tun.«
    »Diese Geschichte«, sagte er leise und überraschte mich damit vollkommen. »Bring die Geschichte zu Ende. Hat Bryn jemals aus dem Becher getrunken, oder hat er ewig an sich gezweifelt?«
    Langsam setzte ich mich wieder hin. »Er hat es getan«, sagte ich und fand irgendwo tief in mir den Willen, weiterzumachen. »Es war erst viel, viel später, und ohne dass er viel daran gedacht hätte, denn nach all seinen Abenteuern und dem Unheil, das so vielen anderen widerfuhr, nachdem sie versucht hatten, den Becher von Isha zu benutzen, stellte er ihn auf ein Regal hinten in seiner Hütte und vergaß ihn vollkommen. Und da stand der Becher nun mit seinen Smaragden und Rubinen zwischen dem alten Steingutgeschirr und dem Zinn, und so manchen langen Tag bemerkte ihn niemand. Denn Bryn blieb in seiner Hütte nahe dem verzauberten Wald und wurde dort alt; und immer noch bewachte er den einzigen Eingang und ließ niemanden vorbei, weder Mensch noch Tier. Es gab viele junge Mädchen, die ihn gerne geheiratet hätten, wenn er gewollt hätte, aber er lehnte sie alle höflich ab. Ich bin nur ein einfacher Mann, sagte er, nicht gut genug für Euch, meine Damen. Und außerdem ist mein Herz bereits vergeben.
    Im Lauf der Jahre gab es viele Gelegenheiten, wegzureiten – mit den Soldaten in den Krieg, oder auf Reisen, um ein Vermögen zu machen, aber das wollte er nicht. Das hier ist meine Wache, sagte er ihnen, und hier bleibe ich, und wenn ich auf meinem Posten sterbe. Und als dreimal zwanzig Jahre vorüber waren und Bryn ein alter, alter Mann war mit einem weißen Bart, der ihm bis auf die Stiefelränder reichte, wurde der Fluch aufgehoben, und die Dornenmauer verschwand, und heraus kam eine alte, alte Dame in einem zerrissenen weißen Gewand, mit einem Gesicht so runzlig wie eine Pflaume. Aber Bryn erkannte sie sofort als seine Geliebte und fiel vor ihr auf die Knie und dankte, dass man sie freigelassen hatte.
    ›Ich habe Durst‹, sagte die alte Frau mit heiserer Stimme – aber für Bryn war es der himmlischste Laut, den er je vernommen hatte. ›Holt mir bitte etwas zu trinken, Soldat.‹ Und da er nur einen einzigen Becher in seinem einfachen Haus hatte, der einer solchen Dame angemessen war, holte der alte Mann den Becher von Isha von seinem staubigen Küchenregal, und siehe, er war voll bis zum Rand mit frischem, klarem Wasser. Mit zitternden Händen bot er ihn der Dame.
    ›Du musst als erster trinken‹, sagte sie, und er war machtlos gegen ihren Willen. Also trank er einen Schluck, und sie trank einen Schluck, und die Edelsteine am Becher schimmerten wie Sterne. Als Bryn aufblickte, war seine Geliebte vor ihm so jung und schön wie an dem Tag, an dem er sie verloren hatte, und als er in den Becher von Isha schaute, zeigte sein Spiegelbild rabenschwarze Locken und ein blendendes, strahlendes Lächeln.
    ›Aber … aber ich dachte …‹ Er bekam kaum ein Wort heraus, denn sein Herz klopfte wie eine Trommel. Seine Geliebte lächelte und griff nach seiner Hand. ›Du hättest die ganze Zeit daraus trinken können‹, sagte sie, ›denn wer außer einem Mann von reinem Herzen würde sechzig Jahre auf seine Geliebte warten?‹ Sie stellte den Becher auf einen Stein an der Straße, und dann gingen sie zusammen in das kleine Häuschen und verbrachten dort den Rest ihres Lebens. Und der Becher von Isha? Dort steht er, im Gebüsch und unter den Gänseblümchen, und wartet darauf, dass der nächste Reisende ihn findet.«
    Der Junge schlief beinahe, seine Miene entspannter als

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