Die Tochter der Wälder
man einander hielt und die Tränen trocknete und Geschichten darüber erzählte, was der Verstorbene getan hatte und was er gewesen war, um ihn sicher auf den Weg zu schicken? Wo waren die großen Feuer, wo waren die Trinksprüche und der Geruch brennenden Wacholders?
John trug ein Gewand aus weichem Grau, und seine Leiche war gesäubert, aber es gab keine Möglichkeit, die schrecklichen Prellungen und die gebrochenen Knochen von Brust und Hüfte zu verbergen. Er hatte ungeheuer gekämpft, so lange am Leben zu bleiben.
»Jenny«, sagte Margery. Sie hatte nicht geweint. Sie sah distanziert aus, ein Schatten ihrer selbst. Ihr Blick war leer. Ich hätte gern die Arme um sie gelegt, sie in den Arm genommen und mit ihr geweint, denn sie war meine Freundin. Aber sie schuf wortlos Abstand zwischen uns. Ben war dort, an die Wand gelehnt, und zumindest er hatte einen Krug Bier in der Hand. Der Rote stand im Schatten am anderen Ende des Zimmers. Ich nahm an, er hatte allen Grund, dort zu sein. Ich nahm an, er war dort, weil ich gesehen hatte, wie John starb, und Margery wollte wissen, wie es gewesen war. Ohne sprechen zu können, war das eine schreckliche Aufgabe.
John – sprechen – du. Meine Hände zitterten; ich konnte ihren leeren, ausdruckslosen Blick kaum ertragen.
John – sagt mir – du, das Kind.
»Was ist der Sinn dieser Sache?« zischte Lady Anne. »Diese Zeichen sind bedeutungslos und zeugen von Mangel an Respekt in einem Haus der Trauer. Du regst Margery nur auf, Mädchen. Was bildest du dir ein?« Ich schaute über Johns Leiche zu seiner Frau hin und dachte, dass in ihrem Blick vielleicht kurz etwas aufgeflackert war. Ich versuchte sie zu erreichen. Bitte. Bitte, hör zu.
»Versuch es noch einmal, Jenny.« Der Rote stand neben mir und sah mir auf die Hände. »Vielleicht kann ich helfen.«
Also ging ich alles noch einmal durch, und während ich die Hände bewegte, sprach er laut meine Gedanken.
»John wollte … John hatte eine Botschaft für dich.« Augen schließen, Hände auf eine Seite, die Wange auf die Hände. »Er ist friedlich gestorben. Voller Mut.« Ich zog meine Hand von dem Mann, der reglos vor mir lag, zu meinem Herzen und dann zu seiner Frau, die mich anstarrte.
»Er sagte: Sag Margery, dass ich sie liebe«, erklärte der Rote. »Sag ihr, dass sie tief in meinem Herzen ist.« Es fiel mir schwer, weiterzumachen, aber ich sagte mir, verglichen mit dem, was sie fühlte, war das nichts. Nichts. So bewegten sich meine Hände weiter und sprachen die Dinge aus, von denen ich wusste, dass John sie hatte sagen wollen, gesagt hätte, hätte er die Zeit gehabt.
»Er sagte, sag ihr, ich weiß, sie wird dafür sorgen, dass mein Sohn ein guter Mann wird, stark und klug.« Ein letztes Mal schaute ich zu John hin; sein Gesicht unter den Prellungen war ruhig, seine sauberen, weißen Füße nicht ganz von dem Gewand bedeckt. Ich berührte meine Lippen mit den Fingerspitzen, dann bewegte ich meine Hand zu ihr hin.
»Er sagte, sag ihnen von mir Lebewohl. Und … und erzähle meinem Sohn meine Geschichte.« Beinahe wäre die Stimme des Roten gebrochen. Ich schaute ihn nicht an. Margery sah mich an.
»Danke«, sagte sie mit sehr leiser, höflicher Stimme. »Ich bin froh, dass jemand bei ihm war als … und nun, wenn es euch nicht stört, möchte ich lieber allein sein.«
»Hältst du das für klug?« Das war Lady Anne, an deren missbilligendem Stirnrunzeln sich nichts geändert hatte.
»Bitte.« Margerys Stimme bebte ein wenig, und als ich mich abwandte, um zu gehen, sah ich, dass sie weinte.
Draußen auf dem Treppenabsatz warf der Rote einen Blick auf mein Hinken und hob mich hoch, ohne auch nur zu fragen.
»Du bist die störrischste, dickköpfigste …«, murmelte er. »Wie um alles in der Welt bist du hier raufgekommen?«
»Sie ist gegangen«, meinte seine Mutter, einen Schritt hinter uns und mit einem Gesicht wie Gewitter. »Wie sie es auch jetzt könnte.«
Der Rote blieb mitten auf der Treppe stehen, mit mir in den Armen. Der gesamte im unteren Stockwerk versammelte Haushalt konnte uns sehen. Ich konnte Lady Annes Gedanken an ihrem Gesicht ablesen, so deutlich, als hätte sie sie laut ausgesprochen. Heute ist wegen ihr ein Mann gestorben. Einer von uns. Jemandes Mann, jemandes Vater. Sie hat euren Freund getötet. Und dennoch trägst du sie umher, als wäre sie eine kostbare Blüte, eine Prinzessin, zu zerbrechlich, als dass ihre Füße den Boden berühren dürften. Was werden sie von
Weitere Kostenlose Bücher