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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Steinblöcke weg, Männer machten sich grimmig mit Schaufeln, Spaten und bloßen Händen an die Arbeit. Aber sie fanden keine Spur von der Leiche des anderen. Entweder lag er zu tief begraben, unter den Letzten, nicht mehr zu verrückenden Felsen oder … aber die Alternative war undenkbar. Das Gesicht des Roten war wie in Stein gemeißelt. Er befahl mir zu gehen, aber ich regte mich nicht, bevor man John ausgegraben und in einen Umhang gewickelt und über sein Pferd gelegt hatte. Und so kehrten wir alle zusammen nach Hause zurück, ich vor Ben auf dem Pferd sitzend, mit einem provisorischen Verband um mein Fußgelenk. Der Abend dämmerte, und die Männer, die am Anfang und Ende der kleinen Prozession gingen, trugen Fackeln. Niemand sprach ein Wort. Ich wollte, dass jemand sagte, es ist alles in Ordnung. Ich wollte, dass mir jemand sagte, es ist nicht deine Schuld. Aber es war meine Schuld. Ich war hierher gekommen und hatte mich mit diesen Menschen angefreundet, und nun war ein unschuldiger Mann gestorben, weil er versucht hatte, mich zu beschützen. An einem so schönen Frühlingstag hätte er draußen sein sollen, um ein Dach zu decken oder Vieh zu weiden oder im Gras mit seinem Sohn zu spielen. Nicht ein verrücktes Mädchen bewachen, während sie Bündel stacheliger Pflanzen schneidet. Er hätte in Sicherheit sein können. Nun war er tot, und ich konnte sehen, dass Lord Hugh, der aufrecht im Sattel saß und das Pferd führte, auf dem die Leiche seines Herrn lag, die beiden Bündel mit Mieren an den Sattel geschnallt hatte. Der Preis dieser kleinen Ernte war das Leben seines Freundes. So schwer lag die Last auf ihm, das Gewicht des Befehls des Feenvolks, dass er selbst danach noch verpflichtet war, mir zu helfen. Er gestattete sich nicht, sich den Schmerz ansehen zu lassen, er hatte von seiner Miene jegliches Gefühl getilgt. Im Fackellicht war sein Gesicht wie eine äscherne Maske mit blinden Löchern statt Augen. Ben weinte ganz offen, sein Schmerz deutlich für alle, und auch viele der anderen Männer hatten rote Augen. Nicht Lord Hugh. Er verschloss seinen Schmerz tief drinnen, so tief wie einen geheimen Schatz am Boden eines Brunnens.
    Vielleicht hatte ich vergessen, dass auch Margery Britin war. Ich erinnerte mich bald daran, sobald wir in den Hof ritten und ich ihr Gesicht sah, immer noch liebenswert, immer noch ruhig, aber plötzlich gealtert, so dass man die dünnen Linien um Augen und Mund sehen konnte, die sie als alte Frau haben würde. Sie brachten die Leiche ihres Mannes nach drinnen und nach oben, um sie zu waschen und aufzubahren, und Margery sagte kein einziges Wort. Niemand schaute mich an; oder genauer gesagt: alle gaben sich Mühe, mich nicht anzusehen. Ben hob mich vom Pferd, und ich stellte fest, dass ich mit dem Knöchel, der geschwollen war, nicht mehr gehen konnte. Also trug er mich nach innen, aber niemand schien sonderlich daran interessiert, mir zu helfen, also hüpfte ich auf einem Fuß, und der andere schickte Schmerzkrämpfe mein Bein entlang und durch meinen Rücken in meinen schier berstenden Kopf. Ich verriegelte beide Türen meines Zimmers und setzte mich auf den Strohsack, umklammerte Alys und starrte ins Dunkel. Was war dieser Schmerz schon, verglichen mit dem von Margery?
    Irgendwann entzündete ich eine Lampe. Ich warf einen Blick auf meinen Knöchel, zwang mich, den Fuß zu bewegen, wickelte ihn in ein Stück Leinen, um ihn ein wenig zu stützen. Er war nicht gebrochen. Ich holte Wasser, wusch mich und bürstete Erde und Staub aus dem Haar. In der Ferne hörte ich, dass der Haushalt immer noch wach war und alle ihren Angelegenheiten nachgingen. Nur würde er mich doch sicher wegschicken. Wie konnte er mich nicht wegschicken?
    Nach langer, langer Zeit klopfte es an der Tür, und es war Lady Anne.
    »Margery will dich sehen«, sagte sie barsch. Ich folgte ihr, vorbei an den Blicken von offenbar jedem Mitglied des Haushalts, die in kleinen Gruppen zusammensaßen oder -standen, unfähig sich niederzulegen, vereint in ihrem Schmerz und ihrem Schrecken. Ich hinkte und niemand bot an, mir zu helfen, obwohl Lady Anne an der Treppe wartete.
    Er war in seinen eigenen Räumen aufgebahrt, obwohl man ihn bald nach unten bringen würde, um dort die Totenwache zu halten. Es war still, so still. Wussten diese Menschen denn nicht, wie man um einen guten Mann trauert? Wusste sie nicht, wie man weint und vor Wut schreit und die Mächte der Dunkelheit verflucht? Wussten sie denn nicht, wie

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