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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Augen.
    »Ich … ich werde es schon noch erklären. Es gibt Gründe. Es ist kompliziert. Ich …«
    Das genügt nicht.
    »Warum heute? Warum sollte ich es ihnen nicht sagen und es einfach hinter mich bringen? Wirst du mir glauben, wenn ich erkläre, warum ich dich hierherbringen und dir diesen Ort zeigen und sehen wollte, wie du durch den Sand läufst? Denn das konnte ich nur tun, wenn ich diesen Tag vor allen geheim hielt, außer von jenen, denen ich mein Leben anvertrauen würde.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Dennoch, das ist ein guter Teil meines Grundes, Jenny. Seit – seit dem Tag, an dem John starb, habe ich … nein, mir fehlen die Worte dafür.«
    Ich zeigte ihm: Lass dir Zeit. Ich höre zu.
    »Du hast gelitten seit diesem Tag. Ich bin nicht blind. Ich … du musst verstehen, an dem Tag, als es geschah, als wir dorthin kamen, dachte ich zuerst … ich dachte, ihr wäret beide … und dann stellte ich fest, dass ich … es tut mir leid, das hier ist … ich kann mit Worten nicht umgehen, ich kann nur hoffen, dass du mich verstehst. Ich war ungerecht zu dir, ich habe dich nicht so beschützt, wie ich es tun sollte. Was geschehen ist, war nicht deine Schuld. Wir haben uns allen selbst die Schuld gegeben. Wenn ich nur dies oder jenes getan oder nicht getan hätte … aber es war nur die Schuld dessen, der es befohlen hat. Er war schlau, es gab keine Beweise. Aber ich denke, jetzt hat er sich die Falle selbst gestellt. Nur …« Wieder schwieg er.
    Ich wartete.
    Nach einer Weile sagte er: »Es wird warm. Du solltest nicht so lange in der Sonne sitzen bleiben.«
    Ich folgte ihm den Strand entlang, und wir setzten uns wieder unter die Klippe, wo die Schatten auf den Sand fielen. Draußen auf dem Wasser hatte die See den Schwanz der Meerjungfrau erreicht und lockte sie zurück.
    »Ich muss dich etwas fragen«, sagte der Rote und drehte dabei eine kleine Muschel in seiner Hand hin und her. »Du brauchst mir nicht zu antworten, wenn es dir verboten ist. Aber wenn du kannst, antworte bitte.«
    Ich nickte. Es klang ernst. Aber ich dachte, an einem solchen Tag gibt es sicherlich kaum noch etwas, was mich überraschen könnte.
    »Die Schnitzerei, die er dir gegeben hat«, sagte der Rote, und einen Augenblick lang wusste ich nicht einmal, wovon er sprach. »Die Schnitzerei mit dem Wappen von Harrowfield … ich möchte wissen, hat mein Bruder sie dir gegeben? Hat er sie dir in die Hand gedrückt, wusstest du, was er vorhatte?«
    Ich schüttelte den Kopf. Nein, er hat es mir hinterlassen, obwohl ich ihn verließ, als er mich am meisten brauchte, und als ich zurückkam, war er lange weg. Das konnte ich ihm nicht sagen.
    »Kannst du mir sagen«, fragte er und sah mir direkt in die Augen, »dass mein Bruder noch lebte, als wir uns begegnet sind?«
    Die Frage war sorgfältig formuliert. Ich schüttelte den Kopf. Ich nahm an, dass Simons Knochen in meinem Wald verstreut waren. Aber ich hatte auch das nicht gesehen.
    »Weißt du sicher, dass Simon tot ist?« Seine Augen waren unter der Sommersonne sehr hell. So hell wie Gezeitenpfützen im ersten Morgenlicht. So tief wie Erinnerungen, über die nicht gesprochen werden darf.
    Wieder schüttelte ich den Kopf.
    Er wandte den Blick ab. »Du fragst dich vielleicht, wieso ich diesen Augenblick gewählt habe, dich zu fragen. Ich muss dir sagen, dass … dass deine Gefangenschaft vielleicht bald ein Ende haben wird. Dass die Antwort, die ich suche, vielleicht anderswo liegt. Dir ist vielleicht die Rückkehr meiner Boten aufgefallen. Auch ich habe Informanten wie mein Onkel; ich spreche nur nicht von meinen.«
    Inzwischen lauschte ich ihm aufmerksam, obwohl ich nicht wusste, was noch auf mich zukam. Ich spürte, dass er jetzt ruhiger war, einen Plan hatte; er war auf sicherem Gelände.
    »Ich dachte, es gäbe keine Spur mehr von Simon. Mein Onkel sprach davon, ihn gesucht zu haben, und ich hielt das für leere Worte, nur ausgesprochen, um meine Mutter glücklich zu machen. Dennoch bat ich meine Boten, sich umzuhören. Und nun habe ich schließlich etwas erfahren.«
    Was? Was hast du gehört? Wie konnte er nach so langer Zeit von Simon gehört haben?
    »Mein Bote hat eine Geschichte gehört«, sagte der Rote, »von einem jungen Mann mit goldenem Haar und hellblauen Augen, einem Mann, der in deinem Land vollkommen fremd war; er lebt in einer Gemeinschaft heiliger Brüder auf einer kleinen Insel vor der westlichen Küste von Eire. Von hier aus ist es eine sehr lange Reise.

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