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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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gebaut haben, die Zuchtlinie von Schafen und Rindern. Ihre Kämpfe, die Feuersbrünste, das Hochwasser. Die Geschichte des Tals. Das war alles, was ich je wollte, die Arbeit fortführen, die sie begonnen haben; mein Vieh züchten, meine Ernten einbringen und meine Leute schützen. Das war es, wofür ich glaubte, geboren zu sein.«
    Er hielt einen Augenblick inne. Ich warf ihm einen Seitenblick zu. Er sah sehr ernst aus. Aber? bedeuteten meine Hände.
    »Aber … seit Simon wegging, seit … seit ich dich gefunden und nach Harrowfield gebracht habe, ist es, als bewegte ich mich durch Schatten und spielte Würfel mit Geistern. Als hätte ich meinen Weg verloren. Oder … oder als sei der Weg, den ich immer für den meinen gehalten habe, dabei, sich vor meinen Füßen zu verändern. Zuvor schien es immer genug, diesem Weg zu folgen, wie mein Vater es getan hat und sein Vater vor ihm. Aber nun bin ich aus dem Muster herausgetreten, und ich kann nicht wieder zurückkehren. Ich habe keine Angst, nicht um meiner selbst willen; aber ich bin unruhig, denn das Wirkliche und Unwirkliche kommen näher zusammen, verbinden sich so miteinander, dass ich nicht mehr sagen kann, was was ist. Ich höre zwei Versionen derselben Geschichte und kann die Wahrheit nicht vom Falschen unterscheiden. Hier sitze ich und erzähle selbst Geschichten und glaube sie zur Hälfte. Denn ich denke manchmal, dass auch du eines Tages zurückkehren wirst, dass du den Ruf des Meeres hörst und unter das Wasser davongleiten wirst, wie es Tobys Seejungfrau tat. Oder vielleicht werde ich eines Nachts, wenn ich vor deinem Fenster Wache stehe, sehen, wie eine Eule aufflattert und im Wald verschwindet, und wenn ich nach dir schaue, wird nur noch eine kleine Feder auf deinem Kissen liegen.«
    Ich war nicht in der Lage, durch meine Hände zu sprechen. Seit jener Nacht, in der ich versucht hatte, ihn zu trösten, und ihn so wütend gemacht hatte, hatte ich jede Hoffnung darauf aufgegeben, dass er jemals wieder so mit mir sprechen würde.
    ***
    Wieso hatte er sich entschlossen, nun so viel von sich zu verraten? Ich brauchte Worte. Ich hätte ihm sagen können, dass es der Bann war. Der Bann, den sie auf ihn gelegt hatten, mich zu beschützen. Damit ich meine Aufgabe erledigen konnte. Nun war ich beinahe fertig damit, und meine Brüder würden mich finden. Dann könnte er in sein Tal zurückkehren, in sein geordnetes Lebensmuster, und ich … ich würde nach Hause gehen.
    »Du sagst nicht viel«, meinte der Rote. Ich versuchte nicht einmal zu antworten. Ich dachte, was immer ich zu sagen versuche, wird falsch sein, und die Maske wird sich wieder über dein Gesicht senken. Wenn ich hier sitzen bleibe und mich nicht rühre, kann ich diesen Augenblick vielleicht bewahren, mit dem Himmel und dem Meer und der Wärme, mit der Stimme meines Bruders im Kopf und dem Roten, der neben mir sitzt und spricht, als ob … als ob …
    »Stell jetzt deine Fragen, wenn du willst«, meinte er schließlich. »Ich schulde dir eine Erklärung. Mehrere Erklärungen. Und ich habe dir etwas zu sagen, und ich will dich um etwas bitten. Es ist keine Eile. Wir haben den ganzen Tag.«
    Das beunruhigte mich. Also war meine erste Frage: Sonne geht unter – reiten – nach Hause?
    »Das braucht uns nicht zu kümmern«, meinte er und runzelte die Stirn ein wenig. »Ich sagte, ich würde dafür sorgen, dass du sicher zurückkommst. Zumindest damit kannst du uns vertrauen.«
    Ich verzog gereizt das Gesicht. Er war sehr geschickt, wenn es darum ging, Antworten zu geben, die keine waren. Ich zeigte ihm: Du – Hochzeit – heute?
    »Inzwischen«, sagte er mit einem Blick zur Sonne, die hoch am Himmel stand, »werden Elaine und ihr Vater schon auf dem Heimweg sein. Es wird keine Feier in Harrowfield geben.«
    Ich übermittelte ihm, dass ich seine Antwort für ungenügend hielt.
    »Sie werden keine Zeit verschwenden, Fragen zu stellen«, meinte er. »Elaine hat Richard und meiner Mutter heute früh alles erzählt. Ja, Jenny, Elaine wusste es. Ich bin nicht so herzlos, wie du glaubst.«
    Elaine – traurig, zornig?
    Er lächelte grimmig. »Nein. Enttäuscht vielleicht, und ein wenig unbehaglich. Aber es war nie ich, den sie wollte. Elaine wird keine Schwierigkeiten haben … ihr Vater, das ist eine andere Sache.«
    Er hatte immer noch nicht die wahre Frage beantwortet, die einzige, die wichtig war: Warum? Dazu gab es keine klare Geste, aber ich brauchte auch keine; die Frage stand mir in den

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