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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Und dieser junge Mann schien unverletzt, er schien bei Verstand und in guter Verfassung. Nur – nur war es so, als könnte er sich an nichts mehr erinnern, nur an die Gegenwart. Unschuldig wie ein neugeborenes Kind; aber sie sagten, er sei achtzehn oder neunzehn Jahre alt.«
    Wer immer das war – es konnte nicht Simon sein. Unverletzt? Bei Verstand? Das konnte nicht der Junge sein, den ich gepflegt hatte, dessen Geist so viele Narben hatte wie sein Körper. Aber das konnte ich nicht aussprechen.
    »Ich glaube, es muss sich um meinen Bruder handeln«, sagte der Rote und beobachtete mich dabei. »Und daher muss ich mich aufmachen und ihn suchen. Und zwar schnell, damit ich diesen Ort vor einem anderen erreiche.«
    Nun erschreckte er mich. Warum?
    »Weil«, sagte er, »das nicht die einzigen Neuigkeiten sind. Nachdem du dich letzten Abend zurückgezogen hattest, hat mein Onkel uns zusammengerufen und uns erzählt, er habe Beweise, dass Simon tot sei, dass man ihn kurz nachdem seine Truppe in den Hinterhalt geraten war, getötet hatte. Gefangen genommen, gefoltert und getötet. Dass er unter den Bäumen begraben liegt, wo der Wald rasch sein Grab überwuchern wird. Er behauptete, es aus erster Hand gehört zu haben, von einem direkten Zeugen, der sich später gegen seinen Herrn wandte.«
    Beide Geschichten sind falsch, dachte ich. Aber so wenig ich die eine leugnen konnte, konnte ich gegen die andere sprechen. Nicht, ohne ihm die Wahrheit zu sagen. Und das würde ich nicht tun. Nicht, ehe ich sprechen konnte, und selbst dann würde es noch schwer genug sein.
    »Richard lügt«, sagte der Rote schlicht. »Aus irgendeinem Grund will er nicht, dass mein Bruder gefunden wird. Also muss ich mich allein und im Geheimen auf den Weg machen. Selbst meine Mutter weiß nichts davon, denn es wäre grausam, ihr Hoffnungen zu machen, bevor ich sicher bin. Außerdem ist sie immer noch Richards Schwester. Nur Ben und du wissen davon. Es gibt viel feindliches Land zu durchqueren. Jenny, ich muss dir sagen, dass ich heute Abend abreise. Ich werde nicht nach Harrowfield zurückkehren. Nicht, ehe ich ihn gefunden habe.«
    Sofort erfasste mich die schrecklichste Angst. Es war alles falsch, das konnte nicht sein Bruder sein, jemand hatte ihm eine Falle gestellt, und … ich dachte an meine Rückkehr nach Harrowfield, und wie es sein würde, wenn er nicht dort war. Ich dachte daran, dass er vielleicht überhaupt nicht zurückkehren würde. Ich streckte unwillkürlich die Hand aus, griff nach einer Falte seines Hemdes direkt über dem Herzen und biss mir auf die Lippen, um Tränen der Angst zurückzuhalten. Was war los mit mir? War ich nicht die Stärkste von Sieben, jene, die auf ihrem Weg so gut wie niemals zögerte?
    »Und das«, erklärte der Rote in kaum mehr als einem Flüstern, »bringt mich zu dem letzten Teil dessen, was ich dir sagen muss. Glaub mir, ich habe lange darüber nachgedacht, es hat mich viele Nächte den Schlaf gekostet. Ich würde dich nicht freiwillig hier allein lassen, denn du bist tatsächlich in Gefahr. Aber wenn mein Bruder lebt, muss ich ihn suchen. Ich … ich habe dich so gut beschützt, wie ich konnte. Häufig nicht gut genug. Ich habe mir gewünscht, mehr tun zu können, aber du machst es mir nicht immer leicht. Diesmal lasse ich Ben zurück, gegen seinen Willen. Ich gehe allein; ich kann mich ungesehen durchschlagen, zumindest den größten Teil des Weges. Ben wird dich bewachen, und es gibt andere, die zu dir stehen werden. Es wird nicht lange dauern. Schau nicht so entsetzt drein, Jenny.«
    Ich spürte, wie mir eine Träne über die Wange lief. Es wird zu lange sein. Ich hatte die schrecklichsten Vorahnungen, die je auf meinem Herzen lagen. Geh nicht. Noch nicht. Aber ich sprach es nicht aus.
    »Ich habe dir einmal gesagt, dass es eine Lösung für das Problem deiner Sicherheit gibt«, fuhr er fort, recht unbehaglich, als suchte er sich den Weg über Glasscherben. Ein falscher Schritt, und der Schaden war unvermeidlich. »Ich habe gesehen, wie sie dich behandeln, selbst meine Mutter, wie sie dich ansehen und hinter deinem Rücken tuscheln. Wie sie dir misstrauen. Sie können dich nicht als Freundin akzeptieren, denn sie verstehen nicht, warum – das heißt, deine Stellung in meinem Haus ist ihnen nicht klar. Das macht dich verwundbar für ihre Streiche, ihre Unfreundlichkeit, ihre Vorurteile. Für Schlimmeres. Ich kann das ändern, und ich werde es tun, wenn du mir zustimmst. Aber wie ich schon

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