Die Tochter der Wälder
noch ein Trommler und ein Geiger, und bald begannen ein paar junge Leute zu tanzen. Auf dem Fluss war kein Schwan zu sehen.
»Sag mir, meine Liebe«, wandte sich Richard mir plötzlich zu. »Hast du keine Ahnung, wohin dein Mann so plötzlich verschwunden ist? Ich fand die offizielle Erklärung immer ein wenig unglaubwürdig. Ich denke, das ist zu viel erwartet von der Gutgläubigkeit eines Mannes. Der junge Ben weiß etwas, aber er hält es zurück. Was ist mit dir? Hat Hugh dir verraten, was er vorhatte, als er dich so rasch verließ? Bettgeheimnisse und so? Man sollte annehmen, dass du dich damit gut auskennst. Was hat er dir gesagt?«
»Richard«, sagte Lady Anne tadelnd.
»Ich will dich nicht beunruhigen, Schwester.« Richard verzog das Gesicht. »Du vergisst, dass eine Frau aus Eire nicht so denken und fühlen wird wie du. Sie genügt, was den oberflächlichen Schein angeht, das muss ich zugeben, aber unter dieser Oberfläche findet man den Feind. Eine Spionin. Sogar eine Zauberin. Darauf würde ich wetten. Man kann ihnen nicht trauen.«
»Jenny ist die Frau meines Sohnes«, erklärte Lady Anne mit angespannter Stimme.
»Hmm«, sagte Richard. »Das ist sie. Und nun sag mir, kleine Nichte, da meine Schwester wünscht, dass ich dich so anspreche, obwohl es mir fast in der Kehle stecken bleibt, wohin ist Hugh gegangen? Was hatte er vor? Was war so dringend, dass er seine Braut an ihrem Hochzeitstag zurückließ? Was war so geheim, dass er es selbst seiner Mutter nicht sagte?«
Sorcha. Sorcha, wo bist du?
»Was ist los, Jenny? Was ist? Geht es dir nicht gut?« Lady Anne hatte gesehen, wie meine Miene sich veränderte, als ich den lautlosen Ruf meines Bruders hörte.
Wartet. Wartet. Ich komme. Rührt euch nicht.
Ich sprang auf und versuchte, so ausdruckslos wie möglich dreinzuschauen. Ich nickte und gestikulierte. Bitte entschuldigt mich. Mein Magen …
»Nimm Megan mit, meine Liebe«, rief Lady Anne mir nach, als ich so ruhig wie möglich auf den Fluss zuging, auf den Schutz der Weiden. Wenn ich so tat, als brauchte ich einen abgelegenen Ort, weil sich mir der Magen umdrehte, dann könnte ich vielleicht … vielleicht könnte ich …
»Wohin gehst du?« Ben stand vor mir und schaute mich besorgt an. »Bei Gott, Frau, du hast wirklich einen schwachen Magen. Ich helfe dir. Geh nicht alleine, das ist gegen die Regeln, erinnerst du dich?«
Aber ich gestikulierte wieder und wieder. Bitte. Nur eine Minute. Ich werde nicht weit gehen. Bitte. Er betrachtete mich stirnrunzelnd. Es stimmte, es gab bestimmte Körperfunktionen, die tatsächlich Abgeschiedenheit erforderten. Aber er hatte seine Befehle. Bitte. Ich werde sicher sein.
»Also gut«, sagte er, »aber bleib in der Nähe. Er wird mich umbringen, wenn er wüsste, dass ich dich außer Sichtweite gelassen habe. Pass auf dich auf. Wenn du zu lange wegbleibst, werde ich dich suchen.«
Ich ging mit gemessenem Schritt weiter übers Gras, bis er mich nicht mehr sehen konnte. Während sich meine Füße vorsichtig bewegten, sandte mein Geist mit panischer Eile Botschaften aus. Wo seid ihr? Wie weit flussaufwärts von der kleinen Brücke? Schnell, ich habe nicht lange Zeit.
Die Brücke ist nicht weit südlich. Eine Stelle, an der eine große Weide umgestürzt ist. Ich komme zu dir.
Nein! Es ist gefährlich! Warte, ich komme.
Endlich bog sich der Pfad, und Ben konnte mich nicht mehr sehen. Ich rannte. Raffte meine Röcke und rannte unter den Weiden zu dem Ort, wo die Wurzeln einer umgestürzten Weide in die Luft ragten, deren Schutzgeist sich längst ein anderes Heim gesucht hatte. Ich sah niemanden.
Wo seid ihr?
»Ich bin hier, Sorcha.« Mein Bruder Conor kam hinter dem Gewirr von Wurzeln hervor, eine schmale, zerbrechliche Gestalt im schwachen Mondlicht. Ich sah, wie bleich er war, sah sein langes, wirres Haar, die Fetzen von Kleidung, die alles waren, was ihm geblieben war. Er sah so körperlos aus wie ein Gespenst.
Sprich nicht laut. Es sind Menschen in der Nähe. O Conor! Ich spürte, wie er mich umarmte. Er war ausgemergelt wie ein Kranker, und er zitterte heftig. Aber es fühlte sich so gut an, ihn im Arm zu halten.
Die anderen. Wo sind die anderen?
Sie können nicht herkommen. Nicht diesmal.
Aber … aber … bittere Enttäuschung überwältigte mich.
Es braucht große Kraft, große Entschlossenheit, sie zu zwingen, an einen Ort zu gehen, vor dem jeder Instinkt uns warnt. Ich kann sie nur einmal hierher bringen. Wenn du bereit bist, ruf
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