Die Tochter der Wälder
der kalten Herbstluft, und Stimmen folgten mir. Sorcha, o Sorcha. Zu Hause. Du bist endlich zu Hause. Der Wind erhob sich, und Laub fiel in einem bunten Regen aus Scharlachrot und Gold. Kleine Schwester, warum bist du so traurig? Du bist jetzt doch wieder zu Hause. Wenn man aufblickte, konnte man sie beinahe sehen. Sie bewegten sich im kühlen Sonnenlicht auf dem Wind zwischen den nackten Gebeinen von Birken und Eschen, immer gerade so am Rand der Sichtbarkeit. Wenn man sich umsah, waren sie plötzlich verschwunden.
»Die Außenposten sind nicht bemannt«, stellte Liam stirnrunzelnd fest. »Das ist Wahnsinn.« Je näher wir Sevenwaters kamen, desto wachsamer und stiller wurden meine Brüder.
Drei Nächte verbrachten wir im Wald, und meine Brüder sorgten dafür, dass ich ein bequemes Bett aus Farnkraut hatte und aß, was sie mir vorsetzten.
Wir zogen recht langsam weiter, denn ich war nicht die einzige, die von Hunger und Schlafmangel geschwächt war, und der Weg war nicht einfach. Hier im Wald konnten wir immerhin ein kleines Feuer entfachen und eine Art Tee aus Kräutern kochen. Das wärmte den Körper, wenn schon nicht den Geist. Nun schliefen meine Brüder nachts auch besser. Alle außer Finbar. Denn für ihn gab es keine Ruhe. Bei Tag bewegte er sich wie im Traum. Bei Nacht saß er im Schneidersitz da und sah in die Ferne, mit Augen, die wie blind zu sein schienen. Er hatte nichts gegessen; er hatte kein einziges Wort gesprochen. Es war, als wäre er nicht wirklich hier, als wäre sein Körper eine leere Hülse, deren Geist eine Welt bewohnte, die wir anderen nicht berühren konnten. Was mich anging, lag ich mit offenen Augen im Dunkeln und wartete auf den Schlaf. Ich hätte mich freuen sollen. War ich nicht wieder da, wo ich hingehörte, mit all meinen Brüdern sicher um mich versammelt, bereit, unser Leben neu zu beginnen? Hatte ich sie nicht gerettet und die Aufgabe vollendet, gegen alle Chancen? Aber mein Herz war geschrumpft und kalt, und mein Geist konnte keine Zukunft sehen, die nicht aus Einsamkeit, aus Zerrissenheit, aus unerfüllten Träumen bestanden hätte.
Je weiter mich die Zeit von diesem abgelegenen Strand wegbrachte, je mehr erkannte ich, wie viel ich aufgegeben hatte. Ich sagte mir, ich solle nicht dumm sein. Und nicht selbstsüchtig. Was hatte ich erwartet – dass der Rote mich anflehte zu bleiben? Selbst wenn das unwahrscheinlicherweise geschehen wäre, wäre ich verpflichtet gewesen, mich zu weigern. Wie hätte ich bleiben können, um ihn weiter abwärts zu ziehen – eine Frau, die nur eine Last ist, Gegenstand von Hass und Misstrauen für all seine Leute? Das hätte ich ihm nicht antun können. Was ich wollte, zählte nicht. Wäre ich geblieben, dann hätte ich ihn zerstört. Aber warum war mir dann so elend zumute? Was stimmte mit mir nicht? Jeder andere hätte gedacht … jeder andere hätte gedacht, du hättest keine Angst mehr vor Männern.
Das war die kleine Stimme der Vernunft, wie ein Spritzer kalten Wassers. Ich habe noch Angst. Ich habe immer noch Angst, sagte ich zu mir selbst, denn ich erinnerte mich gut, wie diese Männer mich verletzt und beschämt hatten, die hässlichen Dinge, die sie gesagt hatten, ich erinnerte mich an jede Einzelheit. Die Erinnerung bewirkte immer noch, dass mir vor Ekel kalt wurde. Sie würde nie verschwinden. Das war eine Seite des Gleichgewichts. Aber nur eine Seite, denn es gab jetzt auch eine andere, und ich hätte beinahe alles dafür gegeben, diesen Augenblick noch einmal zu erleben, diesen Augenblick, als ich den Arm des Roten um mich gespürt hatte wie einen Schild gegen die Welt, mit seinen Lippen an meinem Haar und seinem Herzen unter meiner Wange. In diesem Augenblick hatte er mich nicht loslassen wollen. Es wird alles gut, Jenny. Es wird alles gut, hatte er gesagt, aber es war nicht alles gut geworden. Ich lag im Dunkeln unter den Bäumen und verfluchte das Feenvolk dafür, wie sie uns in ihren seltsamen Spiel benutzt und wieder weggeworfen hatten, ungeachtet des Schadens, den sie anrichteten.
Es war der siebte Tag, und wir kamen der Festung von Sevenwaters immer näher. Zwischen den nackten Zweigen der Weiden glitzerte der See, und Enten schwammen im Schatten. Es war alles sehr still.
»Es gibt keine Späher«, sagte Liam grimmig. »Keine Vorposten. Jeder könnte hier einfach eindringen. Was glaubt er nur?« Wir tauchten hinter der Siedlung aus dem Wald auf, und mein Herz zog sich zusammen. Hinter den ummauerten Feldern und den
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