Die Tochter der Wanderhure
sie diesen prachtvollen Burschen nicht mit Trudi verheiraten konnte, doch seine Mutter hatte recht. Da Magnus von Henneberg und wohl auch andere in Würzburg gegen sie hetzten und dabei ihre und Michels Herkunft in den Dreck zogen, durfte sie sich diesen Wunsch nicht erfüllen. Trudi und die beiden anderen Mädchen mussten Männer von Stand heiraten, die in der Lage waren, sich für Kibitzstein einzusetzen. Bedauerlicherweise kannte Marie niemanden, der zurzeit als Brautwerber in Frage käme. Von Gressingen hatte sie seit Monaten nichts mehr gehört, und daher nahm sie an, dass er wegen der unsicheren Lage, in der Kibitzstein sich derzeit befand,nicht mehr an einer Verbindung mit Trudi interessiert war. Diese Vermutung bestärkte sie nur in ihrer Ansicht, er habe einen schlechten Charakter, und sie war froh, dass es für Trudi kein böses Erwachen geben würde. Ein Teil ihrer selbst, der ihrer Tochter die Enttäuschung ersparen wollte, hoffte allerdings, dass Gressingen nur deswegen nicht auf Kibitzstein erschien, da er nicht als mittelloser Bettler um Trudi werben wollte.
Dieser Gedanke half ihr leider auch nicht weiter, denn auch sonst ließ sich niemand sehen, der den Wunsch hatte, sich mit einer ihrer Töchter zu vermählen. In ihrer Not hätte Marie sogar Lisa verheiratet, obwohl das Mädchen ihr mit seinen fünfzehn Jahren noch zu jung dafür schien. Zwar sahen die hohen Geschlechter dies anders und legten bereits Zwölfjährige als Bräute ins Ehebett, doch Marie war der Ansicht, dass ein Mädchen ausgewachsen und in der Lage sein sollte, Verantwortung zu übernehmen, bevor es einem Mann übergeben wurde.
»Die Burschen sind mit Feuereifer bei der Sache und werden den Leuten des Bischofs auf die Köpfe spucken, wenn die sich trauen, vor den Toren Kibitzsteins zu erscheinen.«
Michis Worte rissen Marie aus ihrem Grübeln. Sie stieg zu ihm hinunter und nickte ihm dankbar zu. Ohne ihn hätte sie sich noch hilfloser gefühlt, denn Karel wäre in dieser bedrohlichen Situation überfordert gewesen. Michi aber hatte in den letzten Jahren viel an Erfahrung und Wissen gewonnen und war bereit, sie und ihre Familie bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.
»Ich hoffe, der Eifer hält an, wenn es erst einmal hart auf hart kommt. Doch wie sieht es sonst aus? Hat es wieder Übergriffe vonseiten der Stiftsdamen gegeben?«
Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Nein. Klara von Monheim belässt es dabei, die Grenzen ihres Gebiets zu bewachen. Dafür hat der Dieboldsheimer heute Nacht versucht, sein Dorf wieder einzunehmen. Er kam mit etwa zwanzig Leuten, doch alssie bemerkten, dass wir auf der Lauer lagen, haben sie sich aus dem Staub gemacht.«
»Wie gut, dass wir Freunde in Dieboldsheim haben, die uns warnen«, raunte Marie Michi ins Ohr.
»Die meisten dort sind mit Ingobert als Herrn unzufrieden, dürfen es sich aber nicht anmerken lassen. Die beiden, die uns Nachrichten zukommen lassen, riskieren ihr Leben! Der Dieboldsheimer würde sie einen Kopf kürzer machen lassen, wenn er davon wüsste.« Michi klang besorgt, und zwar nicht nur wegen der Gefahr für das junge Paar, sondern auch aus Angst, Ingobert von Dieboldsheim könnte deren Verrat bemerken und versuchen, ihn für sich auszunützen, indem er sie mit falschen Auskünften fütterte.
Daran dachte Marie jedoch nicht. Ihre Überlegungen galten der Magd und dem Knecht auf Dieboldsheim, welche sie mit allen Informationen versorgten, die sie bei ihrer Herrschaft erlauschen konnten. »Wenn die Sache vorbei ist, sollten wir die zwei zu uns holen, damit sie vor Ingoberts Rache sicher sind.«
»Helfen müssen wir ihnen, doch Kibitzstein dürfte nicht der richtige Ort für sie sein. Sie müssen dem Dieboldsheimer aus den Augen kommen, sonst wird er versuchen, sich an ihnen zu rächen. Ich schlage vor, du schickst die beiden, wenn es so weit ist, nach Kessnach. Im Odenwald dürften sie vor den Nachstellungen ihres jetzigen Herrn sicher sein.« Michi lächelte erleichtert, weil Marie sich nicht mehr so stark wie in den letzten Wochen in ihr Leid vergrub, sondern wieder an die Zukunft dachte. Er wusste aber auch, dass er ihr einen großen Teil der Verantwortung abnehmen musste, denn die Last, die sie zu tragen hatte, war auch für eine Frau wie sie zu schwer.
»Habt Ihr Euch schon entschieden, was die neue Kanone betrifft?«, fragte er.
»Wenn wir eine Chance haben wollen, einer Belagerung der Würzburger standzuhalten, benötigen wir sie dringend. Abermir ist kein
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