Die Tochter der Wanderhure
den Schultern. »Leider nein! Wahrscheinlich gäbe es zwischen den hohen Herren ein Geschacher, von dem selbst ein Marktweib noch lernen könnte, und wir wären am Ende ebenfalls die Leidtragenden.«
Mit einem Mal überkam sie das Gefühl, dringend an die frische Luft zu müssen, und sie stand mit einem Seufzer auf. »Sieh zu, dass die Mägde weitermachen, wie ich es angeordnet habe. Ich gehe ein wenig hinaus.«
»Willst du schon wieder die Ziegenbäuerin aufsuchen?« Die Wirtschafterin vermochte ihre Eifersucht auf Hiltrud nicht immer zu verbergen. Obwohl sie wusste, dass sie Marie nicht die Stütze sein konnte, die ihre Herrin in dieser Zeit benötigte, ärgerte sie sich über deren tägliche Besuche auf dem Ziegenhof. Die Bäuerin war alt und hatte kaum etwas anderes zu tun, als auf der Ofenbank zu sitzen und zu schwatzen. Die Herrin aber musste sich mit allerlei Problemen herumschlagen und viele Entscheidungen treffen. Da sollte sie sich nicht auch noch um ein greises Weib kümmern.
Marie sah es in Annis Gesicht arbeiten und bedauerte, dass ihre Freundinnen nicht in gutem Einvernehmen zueinandergefunden hatten. Zum Glück vertrugen Alika und Hiltrud sich recht gut, doch Anni mochte beide nicht und bemühte sich auch nicht um deren Freundschaft. Marie liebte alle drei Frauen, die jeweils sehrschwierige Teile ihres Lebenswegs mit ihr zurückgelegt hatten. Aber Anni schien nicht ertragen zu können, dass ihre Herrin sowohl Hiltrud wie auch Alika ihr Leben verdankte, während sie selbst in den Weiten Böhmens halbtot gefunden und von Marie gerettet worden war. Daher hatte sie das Gefühl, von Marie und den anderen weniger geachtet zu werden, und versuchte, dies durch besonderen Einsatz und Arbeitseifer wettzumachen.
Marie beruhigte sie, anstatt zu schelten. »Ich will nur sehen, wie weit Michi mit seinen Vorbereitungen gekommen ist, und ihn fragen, was wir noch brauchen, sollte Henneberg uns im Auftrag des Fürstbischofs mit Krieg überziehen.«
»Die Keller und Scheuern sind voll, und die Lebensmittel reichen für viele Tage«, versicherte Anni nachdrücklich.
»Man kann nie genug haben, außerdem habe ich jetzt eher an Waffen gedacht. Wir brauchen unbedingt eine größere Kanone, doch die müssten wir über Würzburger Gebiet hierherschaffen lassen, und das scheint mir so gut wie unmöglich.«
Die Wirtschafterin krauste die Stirn, denn sie wusste, wie teuer solche Waffen waren. »Warum reichen die beiden Geschütze denn nicht aus, die Herr Michel angeschafft hat?«
Marie schüttelte nachsichtig den Kopf. »Darüber werde ich lieber mit Michi reden. Ich frage ihn ja auch nicht, was wir an Leinen und Essensvorräten benötigen.«
Marie hatte am Vortag von Hiltruds Sohn wissen wollen, für wie viele Monate sie die Burg mit Vorräten versorgen lassen sollte. Deshalb zog Anni ein schiefes Gesicht und versicherte Marie, keine ihrer Pflichten zu vernachlässigen.
Da Marie ihre Wirtschafterin kannte, wusste sie, dass die Tschechin die Mägde zu noch rascherer Arbeit antreiben würde, um sie zufriedenzustellen. Anni hungerte nach ihrer Anerkennung und schonte weder sich noch ihre Untergebenen, nur um ein gutes Wort von ihr zu hören.
Spontan umarmte sie die junge Frau und zog sie an sich. »Wastäte ich, wenn ich dich nicht hätte? Du bist wie eine vierte Tochter für mich!«
Annis Gesicht hellte sich auf, und sie ergriff Maries Hand, um sie zu küssen. »Ich liebe dich wie eine Schwester und eine Mutter. Du hast mein Leben erhalten, mich mit hierhergebracht und mir eine Aufgabe gegeben. Solange ich lebe, werde ich dir dafür dankbar sein. Selbst wenn dir durch die Ungnade des Bischofs nicht mehr bleiben sollte als eine einfache Kate, werde ich mit meiner Hände Arbeit dafür sorgen, dass du behaglich darin wohnen kannst.«
»So weit wollen wir es nicht kommen lassen.« Marie strich Anni über das Haar und konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass zu viel Liebe auch lästig sein mochte.
Kurz darauf trat Marie aus dem Palas der Burg und sah von der Freitreppe aus zu, wie Michi die Kibitzsteiner Knechte im Burghof drillte. Aus dem hübschen, aber noch etwas unbedarften Jungen war inzwischen ein stattlicher Mann geworden. Da er die Körpergröße seiner Mutter geerbt hatte, überragte er jeden anderen Bewohner von Kibitzstein um mehr als eine Handbreit. Sein hellblondes Haar stob in dem durch den Burghof streichenden Wind auf, und sein Gesicht wirkte fest und willensstark.
Mehr denn je bedauerte Marie, dass
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