Die Tochter der Wanderhure
wir im Freien nicht überstehen würden.«
»Und wo soll es hier einen sicheren Platz geben?« Eichenloh deutete missmutig auf die weißummantelten Berge, die sie wie ein Wall umgaben.
»Ein Stück weiter vorne führt ein Seitental zu einer alten Höhlenburg. Früher haben Raubritter in dem Gemäuer gehaust, doch seit ein paar Jahren ist sie verlassen. Dort finden wir den Unterschlupf, den wir brauchen.«
Eichenloh nickte. »Es wird wohl das Beste sein. Mir reicht bereits der Wind, der uns jetzt um die Ohren pfeift. Einem richtigen Sturm möchte ich zu dieser Jahreszeit nur ungern im Freien ausgesetzt sein.«
»Dann vorwärts! Uns bleibt nicht mehr viel Zeit!« Der Führer blickte besorgt auf die Berge im Osten, von denen der Wind nun spürbar kälter herabpfiff, und stapfte durch den Schnee voraus.
Da Eichenloh den Mann nicht vor der Zeit erschöpfen wollte, befahl er einem seiner Leute abzusteigen und dem Führer das Pferd zu geben. »Dir wird das Laufen leichter fallen, wenn du weißt, dass wir in kurzer Zeit ein Dach über dem Kopf haben«, rief er dem Söldner zu und trieb sein protestierend schnaubendes Pferd an.
Da der Schnee streckenweise hüfthoch lag und seine Oberfläche verharscht war, hatten sie die Beine der Pferde mit Decken umwickelt, damit diese sich nicht verletzten. Nun trampelten die Tiere den Schnee nieder oder pflügten sich hindurch, so dass die Fußkrieger ihnen zu folgen vermochten, ohne bei jedem Schritt einzubrechen. Auf diese Art und Weise kamen sie recht gut voran. Dennoch wären sie ohne ihren Führer nach kurzer Zeit verloren gewesen. Diese Erkenntnis stimmte Eichenloh wieder zuversichtlich. Bei diesem Wetter würden die Leute, die für HerzogAlbrecht von Österreich die Burg halten sollten, gewiss keinen Angriff erwarten.
Eine Zeitlang bewegte sich der Zug fast lautlos weiter. Nur das gelegentliche Prusten der Pferde war noch zu vernehmen, aber das ging bald im Geheul des aufziehenden Sturms unter. Gleichzeitig stob der Schnee in dichten Flocken durch das immer schmäler werdende Tal, so dass man keine zehn Schritt weit sehen konnte, und Eichenloh fragte sich besorgt, ob ihr Führer unter diesen Umständen noch wusste, wo sie sich befanden. Als er schon annahm, der Mann habe die Abzweigung zur Höhlenburg verfehlt, winkte dieser heftig, nach links abzubiegen.
Es ging nun stärker bergan, und Eichenloh überlegte sich schon, ob er nicht absteigen sollte, um seinem Hengst den Weg zu erleichtern, da tauchten mit einem Mal mehrere Schatten vor ihm auf, und ehe er sich’s versah, prallte er mit einem anderen Pferd zusammen. Er konnte sich gerade noch im Sattel halten, doch der andere Reiter verlor den Halt und stürzte in den Schnee. Der lange Rock und das lange, blonde Haar zeigten Eichenloh zu seiner großen Überraschung, dass es sich um ein weibliches Wesen handeln musste.
Ohne sich zu besinnen, sprang er vom Pferd, beugte sich über die Frau und starrte sie fassungslos an. Es schien unmöglich. Sollte ein Berggeist ihn narren, um ihn an seinem Verstand zweifeln und scheitern zu lassen? Hilfesuchend drehte er sich zu Quirin um, doch es war Junker Hardwin, der ihm die Bestätigung gab.
»Bei Gott, das ist doch Trudi Adler! Wie kommt die hierher?«
»Das würde ich auch gerne wissen!« Eichenloh klang bärbeißig, gleichzeitig fühlte er sich seltsam hilflos. Als er Trudi das letzte Mal gegenübergestanden hatte, war sie überzeugt gewesen, er sei der Mörder ihres Vaters, und hatte ihn beschimpft. Nun bemerkte er ihre viel zu dünne Kleidung und begriff, dass sie beim Sturz die Besinnung verloren hatte.
»Rasch, eine Decke, bevor sie erfriert«, fuhr er Quirin an.
Sein Stellvertreter gab den Befehl weiter und wies dann auf zwei weitere Gestalten, die auf ihren Gäulen hingen. »Den beiden scheint es noch schlechter zu gehen!«
Jetzt erst nahm Eichenloh Uta und Lampert wahr. Die Magd wimmerte nur noch, und ihre Tränen waren auf den Wangen zu Eisperlen erstarrt. Sie ließ sich widerstandslos vom Pferd heben und in eine Decke hüllen. Dann banden ein paar Söldner Lampert los, der das Bewusstsein wiedererlangt hatte, aber immer noch hilflos auf dem Pferd hing, hoben ihn herab und wickelten ihn in Schaffelle und Pferdedecken.
Quirin beuge sich über Trudi, die nun die Augen geöffnet hatte, aber vor Kälte zitterte und kein Wort herausbrachte. Erst als er ihr eine Tonflasche mit Branntwein an die Lippen hielt und ihr ein paar Tropfen der scharfen Flüssigkeit einflößte,
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