Die Tochter der Wanderhure
schien sie sich ihrer Umgebung bewusst zu werden. »Habt Dank, gute Leute. Das war Rettung in letzter Not. Ich glaubte uns schon verloren.«
»Trudi! Sag, wie kommst du hierher?« Hardwin drängte sich an Quirin vorbei und kniete sich neben sie.
»Hardwin?« Auf Trudis Gesicht spiegelten sich Unglauben, Erstaunen und zuletzt Erleichterung.
Zu seiner eigenen Verwunderung ärgerte Eichenloh sich über die Freude, die die kleine Adlerin angesichts des jungen Mannes zeigte. Um klarzustellen, wem sie ihr Leben verdankte, schob er Hardwin beiseite und stellte sich breitbeinig vor Trudi hin.
»Gottes Gruß, Jungfer. Ihr habt Euch wirklich eine angenehme Zeit zum Reisen ausgewählt.«
Die Ironie in seinen Worten färbte Trudis Gesicht weiß. Sie biss die Zähne zusammen, damit ihr kein falsches Wort entschlüpfte. »Wenn Ihr zu dieser Zeit reisen könnt, warum sollte ich es nicht auch tun?«
Ihre Antwort bewies Eichenloh, dass sie ihn immer noch als Feind ansah. Er wollte achselzuckend über ihre Haltung hinweggehen,doch ihre Abneigung traf ihn stärker, als er erwartet hatte. Eigentlich hätte die Zeit ausreichen müssen, den Schmerz des Mädchens zu lindern. Auch hätte sie nur richtig nachdenken müssen, um zu erkennen, dass er sich wohl kaum zu Otto von Hennebergs Gunsten verwendet hätte, wenn er der Mörder ihres Vaters gewesen wäre.
»Ich reise im Auftrag des Königs. Dabei ist es gleichgültig, zu welcher Jahreszeit und bei welchem Wetter«, erklärte er barsch.
»Und ich will zum König, um Gerechtigkeit zu erflehen. Könnt Ihr mich zu ihm bringen?« Es tat Trudi fast körperlich weh, ausgerechnet diesen Mann um etwas zu bitten. Da er jedoch der Anführer des Trupps war, würde sie sich an ihn halten müssen.
»Zum König wollt Ihr? Was sucht Ihr beim dritten Friedrich?« Eichenloh musterte Trudi verblüfft. Wenn ein junges Ding wie sie so viele Meilen zurücklegte, und das noch im Winter, musste es um Leben oder Tod gehen.
Trudi wollte ihm schon sagen, dass ihn das nichts anginge, biss sich aber auf die Lippen. Im Augenblick war sie von den Launen dieses Mannes und seiner Gnade abhängig, und daher bequemte sie sich zu einer höflicheren Antwort. »Ich will Seine Majestät um Schutz für Kibitzstein bitten, das von den Kreaturen des Würzburger Bischofs bedroht wird.«
Eichenloh schüttelte verwundert den Kopf. Als er die Gegend um Würzburg verlassen hatte, hatte Kibitzstein als gesichert gegolten. Trudis nächste Worte klärten ihn darüber auf, dass die Nachbarn nach dem Tod ihres Vaters die Mutter bedrängten und ihr die Pfänder abnehmen wollten, während der Würzburger Bischof gleich die Hand nach dem gesamten Besitz ausstreckte.
Ohne es zu wollen, empfand Eichenloh großen Respekt für die scharfzüngige Jungfer. Natürlich war es Irrwitz, so eine weite Reise mit nur einer Magd und einem einzigen Knecht anzutreten. Doch nur der, der etwas wagte, konnte gewinnen.
Hardwin deutete auf Trudis Stute, die mit tief gesenktem Kopf dastand und nicht weniger zitterte als ihre Herrin. »Hast du die Sättel verkaufen müssen, um an Geld zu kommen?«
Trudi zog die Decke enger um sich, weil ihre Zähne vor Kälte und Aufregung klapperten. »Die mussten wir auf unserer Flucht zurücklassen, sonst hätten diese elenden Räuber uns wieder erwischt.«
»Flucht? Räuber? Das klingt nach einer längeren Geschichte.« Eichenloh hätte seine Neugier am liebsten auf der Stelle gestillt, doch ihr Führer zog ihn am Ärmel und deutete auf den Himmel.
»Wir müssen weiter! Der Sturm, der sich da zusammenbraut, wird uns das Fleisch von den Knochen reißen!«
Quirin fluchte. »Und was pfeift uns jetzt um die Ohren? Etwa ein mildes Lüftchen?«
»Du wirst den Unterschied merken. Jetzt kommt endlich! Wenn wir nicht bald die Höhlenburg erreichen, könnt ihr eure Seelen dem Herrn empfehlen – oder dem Teufel, wenn euch das lieber ist.« Mit diesen Worten trieb der Führer sein Pferd an, ohne sich darum zu kümmern, ob die anderen ihm folgten.
Eichenloh wollte Trudi auf ihre Stute heben, sagte sich dann aber, dass sie dort zu sehr frieren würde, und setzte sie vor sich in den Sattel. Dabei schlang er seinen weiten Umhang um sie und drückte sie fest an sich, um sie mit seinem Leib zu wärmen.
Sie versteifte sich, fühlte aber dann, wie die Kälte aus ihren Knochen wich, und atmete ein wenig auf. Auch wenn sie Eichenloh im Grunde für einen schlimmen Schurken hielt und seinen abgeschlagenen Kopf hatte sehen wollen,
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