Die Tochter der Wanderhure
Männer, die dort hätten Wache halten müssen, waren weg. Wahrscheinlich versuchten sie ebenfalls, wenigstens die Vorräte vor den Flammen zu retten.
»Lass uns das Ding ebenfalls zerstören!« Täuschte er sich, odernahm er wenigstens seine eigene Stimme wieder wahr? Aber das war jetzt nicht wichtig.
Falko lief zu dem Geschütz hinüber, dessen Wachfeuer zum größten Teil von der Explosion weggeblasen worden waren. An dieser Stelle herrschte eine von gelegentlichem Aufflackern durchbrochene Dunkelheit, in der die drei Freunde darauf achten mussten, nicht über Gegenstände oder – wie Giso gerade feststellte – über Tote zu stolpern.
Vor der Kanone blieb Falko stehen, kratzte sich unwillkürlich am Kopf und stöhnte auf, als er die verbrannte Haut spürte. Das ist ein geringer Preis für diesen Erfolg, fuhr es ihm durch den Kopf.
Er würde den Rest seines Haares opfern, wenn es ihm gelang, auch die größere Gefahr für die Burg zu beseitigen. Schwarzpulver konnten die Feinde schneller heranschaffen als eine neue Kanone. Schnell prüfte er die Lage des Geschützes. Das Rohr saß fest in seiner Bettung, und um es herauszuheben, wären ein Dreifuß und ein Seilzug notwendig.
Falko wollte schon aufgeben, obwohl ihm klar war, dass er nur einen Aufschub von ein oder zwei Wochen erreicht hatte. Da entdeckte er die Keile, mit denen das Geschützrohr in seiner Lage gehalten wurde. Hennebergs Leute waren offensichtlich noch nicht dazu gekommen, die Bettung mit Eisennägeln zu sichern. Diese lagen zusammen mit einem Schlägel, mit dem sein Fuß gerade schmerzhaft in Berührung gekommen war, neben der Kanone im Gras.
Kurzentschlossen hob Falko den langstieligen Hammer auf und holte aus. Der Schlag hallte misstönend durch die Nacht, und seine beiden Freunde starrten erschrocken zu den Belagerern hinüber. Doch sie hatten Glück. Das Feuer hatte einige Vorratswagen erfasst und fraß sich mit knackenden Geräuschen, in die sich kleinere Explosionen mischten, durch die Ladung.
Falko schlug noch einmal zu und ein drittes Mal. Nun flog der erste Keil im weiten Bogen davon.
»Ja, so ist es richtig!«, feuerte Hilbrecht seinen Freund an. Giso lief um die Kanone herum, in der Hoffnung, einen zweiten Schlägel zu finden. Doch er stolperte nur über die Teile des Dreifußes. Lange Stangen, die zwischen dickeren Stämmen lagen, brachten ihn auf eine Idee.
Er rief Hilbrecht herbei und drückte ihm eine in die Hand. »Los! Wir klettern hinauf, und sowie Falko genügend Keile gelöst hat und die Kanone sich absenkt, wuchten wir das Rohr aus seiner Bettung.«
Hilbrecht stieß einen vergnügten Laut aus, und Falko, der nun auch wieder einzelne Worte verstehen konnte, verdoppelte seine Anstrengung. Der nächste Keil flog durch die Luft, dann der übernächste.
»Schneller! Die Kerle haben gemerkt, dass sich hier etwas tut!«, rief Hilbrecht seinem Freund zu und wollte seine Stange gegen das Geschützrohr stemmen.
»Halt, du Narr, wenn das Ding jetzt ins Rollen kommt, wird es Falko zermalmen«, brüllte Giso. Auch ihm fiel es schwer, seine Ungeduld zu bezähmen, aber im Gegensatz zu Hilbrecht behielt er die Übersicht.
Falko eilte unterdessen zum vorderen Teil, um auch da die Keile wegzuhauen.
»Stell dich anders! Sonst fällt das Rohr auf dich drauf!«, rief Giso hinab und setzte ebenfalls die Stange an.
Er und Hilbrecht legten sich mit aller Kraft ins Zeug, doch selbst als Falko weitere Keile herausgeschlagen hatte, gelang es ihnen nicht, das Rohr zu bewegen. Während Hilbrecht unbeherrscht fluchte, sprach Giso ein lateinisches Gebet.
Falko aber schnaubte und griff nach einer weiteren Stange. »Lasst es uns zu dritt versuchen! Wir müssen es einfach schaffen.«
Er ließ sich von Giso auf die Geschützbettung ziehen und stemmte seine Stange mit einem auffordernden Schnalzen gegen das Geschützrohr. »Und jetzt zugleich!«
Die drei legten sich mit ihrem vollen Gewicht auf die Stangen. Doch das Geschütz rührte sich nicht.
Auf Falkos Befehl setzten sie die Stangen neu an und warfen sich erneut mit vollem Gewicht auf die Hebel. »Zur Hölle mit dir verdammtem Ding!«, fluchte Giso, der gesehen hatte, wie die Würzburger Waffenknechte sich sammelten, um geschlossen gegen den vermeintlichen Ausfall der Kibitzsteiner vorzugehen.
In dem Augenblick ging ein Ruck durch das Geschütz.
»Wir schaffen es!«, jubelte Hilbrecht.
Es war, als würde ihnen diese Erkenntnis neue Kräfte verleihen, denn im nächsten Augenblick bewegte
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