Die Tochter der Wanderhure
Hennebergs Zelt, welches so groß war, dass drei Bauernhäuser hineingepasst hätten, und dessen kunstvolle Verzierungen in der Sonne leuchteten, ließ der Bischof anhalten. Er wartete, bis Graf Otto ihm den Arm als Stütze reichte, und als er auf festem Boden stand, schlug er seinen weiten, roten Reisemantel zurück und verblüffte seine Untergebenen, weil er darunter nur eine rote Kutte trug und bis auf seinen Bischofsring auf alle Zeichen seiner hohen Würde verzichtet hatte.
Im Gegensatz zu Herrn Gottfried stieg Pratzendorfer aus dem Wagen, ohne Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das und seine ganze Haltung verrieten Otto von Henneberg, wie angespannt der Mann war.
Auch der Bischof wirkte nicht gerade erfreut. Zwar wusch er sich mit dem Wasser, das ein Knecht ihm in einer Lederschüssel hinhielt, den Reisestaub von Gesicht und Händen und nahm auch den Becher entgegen, den ein anderer Diener ihm reichte. Aber er trank nicht, sondern richtete den Blick auf Otto von Henneberg.
»Kibitzstein muss fallen, und zwar so rasch wie möglich.«
Graf Otto kniff die Lippen zusammen. »Das wird es erst, wenn wir die Mauern der Festung zusammengeschossen haben.«
Er wollte noch mehr sagen, doch der Bischof unterbrach ihn mit eisiger Stimme. »Ich sagte: so rasch wie möglich!«
»Das kostet viel Blut«, wandte Ludolf von Fuchsheim ein, der nicht an dieser Fehde teilnahm, um seine Leute abschlachten zu lassen, sondern um die Dörfer behalten zu können, die er an Michel Adler verpfändet hatte.
Auch die anderen Burgherren sahen betreten drein. Jeder von ihnen hatte gehofft, sich durch eine gewisse Fügsamkeit den allzu begehrlichen Umarmungen Würzburgs entziehen zu können. Aber der Fürstbischof behandelte sie nicht wie Verbündete, sondern wie Knechte.
Pratzendorfer spürte den Unmut, der sich unter den Edelleuten breitmachte, und versuchte, die Wogen zu glätten. »Es gibt einen dringlichen Grund, diese Sache so schnell wie möglich abzuschließen: Aus Brandenburg-Ansbach kam die Nachricht, dass Markgraf Albrecht Achilles ein Heer aufstellt, um die Kibitzsteiner zu unterstützen. Also muss die Burg fallen, bevor er seine Truppen in Bewegung setzen kann. Seid Ihr, Graf Otto, der Ansicht, dies schaffen zu können?«
Otto von Henneberg blickte durch den Zelteingang auf die neuangekommenenSoldaten und die Geschütze. »Mit dieser Verstärkung wird es uns gelingen!«
»Dann ist es gut.« Nun erst führte der Bischof den Becher zum Mund und trank. Dabei beschloss er, den Eifer der Belagerer zu erhöhen, indem er bis zur Eroberung der Burg im Lager blieb und den Angriff überwachte.
9.
M arie, Falko und Michi standen auf den Mauern von Kibitzstein und blickten zu den Truppen hinüber, die der Fürstbischof ihren Belagerern zugeführt hatte. Ganz abgesehen von den Kanonen kamen nun auf jeden eigenen Bewaffneten mehr als zehn Feinde.
»Ein drittes Mal wird es uns nicht mehr gelingen, die Geschütze zu zerstören!« Trotz seiner bitteren Worte verriet Falkos Miene, dass er es trotzdem versuchen wollte.
Michi legte seine Rechte schwer auf Falkos Schulter. »Damit würdest du nur unnütz dein Leben opfern oder gar denen da als Geisel dienen. Graf Otto führt den Angriff mit viel mehr Umsicht als sein Bruder, wie du selbst sehen kannst. Der lässt sich nicht überraschen. Es ist zum Verzweifeln! Bis die neue Truppe aufgetaucht ist, hatte ich noch die Hoffnung, wir könnten uns halten. Aber das da drüben sind gut gedrillte Würzburger Soldaten und von der Anzahl her wahrscheinlich die gesamte Heeresmacht, die der Fürstbischof aufbringen konnte. Der Teufel soll Herrn Gottfried holen!«
Marie lachte bitter auf. »Das wünschte ich auch! Aber leider steht der Mann dem Herrgott zu nahe.«
Sie sah ihren Sohn und ihren Kastellan fragend an. »Hat es überhaupt noch Sinn, Widerstand zu leisten? Verurteilen wir damit nicht zu viele Menschen zu einem sinnlosen Tod?«
»Vermutlich hat Herr Gottfried Kenntnis davon erlangt, dass der Markgraf von Brandenburg-Ansbach uns zu Hilfe kommt, und will uns in die Knie zwingen, bevor dessen Truppen marschbereit sind. Aber wenn wir uns jetzt ergeben, fallen wir Albrecht Achilles in den Rücken.«
Falkos Stimme klang beschwörend, während an Michi sichtlich Zweifel nagten. Von den Absichten des Brandenburgers hatten sie nur durch Hertha von Steinsfelds Boten erfahren, dem es gelungen war, sich nächtens an den Belagerern vorbeizuschleichen. Ihm schien es unwahrscheinlich, dass Markgraf Albrecht
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