Die Tochter der Wanderhure
aber nicht den Weg zum großen Saal, sondern führte ihn in ein kleines Zimmer, dessen schießschartenartige Fenster mit festen Läden verschlossen waren. Einevon der Decke hängende Unschlittlampe spendete trübes Licht, das die Stimmung des Burgherrn widerzuspiegeln schien.
Eine Magd mittleren Alters kam herein und legte eine Decke um Ritter Hans’ mager gewordene Schultern, während ein junges Ding, das kaum mehr als zehn Sommer gesehen haben konnte, einen Krug mit einem dampfenden Getränk und einen großen, mit Wein gefüllten Becher brachte. Die Kleine stellte die Gefäße auf den einfachen Tisch, knickste und lief eilig davon, während die Magd ihrem Herrn half, sich auf die Bank zu setzen, und ihn so warm einpackte, dass ihm die Zugluft, die durch die Spalten der Fensterläden drang, nichts anhaben konnte. Dann mahnte sie Michel, Ritter Hans nicht zu sehr zu erschöpfen, und verließ ebenfalls den Raum.
Michel wartete, bis er mit dem Dettelbacher allein war, und nahm seinen Becher zur Hand. »Auf Euer Wohl, Herr Hans!«
»Ich wollte, ich könnte Euch Bescheid geben. Doch die Brühe, die ich trinken soll, mag für ein Pferd geeignet sein, aber nicht für einen Mann. Bäh, schmeckt das widerlich!« Ungeachtet seines Widerwillens führte Hans von Dettelbach den Krug an die Lippen und schlürfte vorsichtig den heißen Absud.
Der Dampf, der Michel in die Nase stieg, roch nach Kamille, Salbei, Fenchel und Minze. Zwar interessierte er sich nicht sonderlich für die Wirkung von Heilkräutern, aber das eine oder andere hatte er aufgeschnappt, wenn Marie oder die Ziegenbäuerin nach Zutaten für ihre Tränke suchen ließen. Die Mischung, die sein Gastgeber zu sich nahm, schien ihm vertraut. Wenn diese Medizin ihm nicht half, würde auch ein hochgelehrter Arzt nicht mehr viel ausrichten können. Diese Erkenntnis brachte Michel dazu, all die vielen Höflichkeitsfloskeln, die sonst üblich waren, beiseitezulassen und das Gespräch sofort auf den Grund zu lenken, der ihn nach Dettelbach geführt hatte.
»Ritter Hans, ich wünsche Euch noch viele Jahre bei guter Gesundheit, in denen Euch der Wein wieder so schmecken soll wiefrüher, als wir so manches Mal hier oder auf Kibitzstein zusammengesessen sind und fröhlich gezecht haben. Vielleicht habt Ihr dann Lust, Euch ein junges Weib zu nehmen, um Eure Sippe fortzusetzen.«
»Noch einmal heiraten! Nein, mein Freund, diese Zeiten sind vorbei«, antwortete Herr von Dettelbach mit schwacher Stimme.
Michel legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ihr seid der Letzte Eures Geschlechts, und wenn Ihr nicht wieder heiratet, gibt es keinen Erben, der einen Anspruch auf diesen Marktort oder Euren restlichen Besitz erheben kann. Dann allerdings seid Ihr in der Lage, Dettelbach an jedweden Mann zu verkaufen oder zu vererben, den Ihr auswählt. Um es offen zu sagen: Wenn es keinen Leibeserben gibt, so habe ich durchaus Interesse daran, diesen Ort zu besitzen, wenn Ihr einmal nicht mehr sein solltet.«
Der Dettelbacher fuhr gereizt auf. »Wollt Ihr Euch in die Reihe meiner sogenannten Freunde und entfernten Verwandten stellen, die mir die Tür einlaufen, damit ich ihnen meinen Besitz hinterlasse?«
Michel hob beschwichtigend die Hände. »Ich will nichts geschenkt haben. Alles im Leben hat seinen Preis. Nennt mir die Summe, die ich Euch geben soll, oder verpfändet mir Dettelbach mit dem Recht, es nach Eurem Tod in meinen Besitz nehmen zu können. Mit diesem Geld könnt Ihr Euch noch ein schönes Leben machen.«
»Ein schönes Leben? Jetzt, wo ich alt und hinfällig geworden bin und mir alle Gedärme im Leib schmerzen? Nein, Herr Michel, es lohnt sich nicht, für diesen lahmen Leib Geld auszugeben, der mich nur noch an diese Welt fesselt, obwohl ich es kaum erwarten kann, die Wunder des Paradieses zu schauen.«
Hans von Dettelbach starrte düster auf den Krug, den er vor sich gestellt hatte. »Für das da brauche ich kein Gold. Die Kräuter wachsen am Wegesrand, und meine Mägde sammeln sie ein.Euer Angebot mag aus ehrlichem Herzen kommen, aber ein zahnloser Hund zerkaut keinen Knochen mehr.«
»Dann nehmt das Geld und spendet es der Kirche, so dass man dort für Euer Seelenheil und das Eurer Sippe betet«, beschwor Michel den Ritter.
Der Kopf des Kranken ruckte hoch. »Da habt Ihr ein wahres Wort gesprochen, Herr Michel. Das Seelenheil darf man niemals vergessen. Ich könnte den Klöstern in der Umgebung Geld für viele Seelenmessen geben und vielleicht sogar eine Kirche bauen
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