Die Tochter der Wanderhure
nach Fuchsheim begleitete. Otto von Henneberg war diese Reise zuwider, denn man würde ihn dort weniger mit Mitleid als mit Spott überhäufen. Dies war Klara von Monheim ebenfalls bewusst, doch sie wollte den Leuten zeigen, dass nur ihr Vogt bei dem Zwischenfall den Schaden davongetragen hatte, nicht aber die Jungfer auf Kibitzstein. Am liebsten hätte sie Trudi vor allen Gästen auf ihre körperliche Unversehrtheit untersuchen lassen, um zu zeigen, dass ihr nichts geschehen sei und alle Klagen des Kibitzsteiners heillos übertrieben wären.
Zum Glück ahnte Trudi nichts von den Überlegungen der Äbtissin, sonst hätte sie keinen Schritt Richtung Fuchsheim getan. Ihre Sorgen waren so schon groß genug. Zwar hatte Alika ihrKleid rechtzeitig fertiggestellt, und der Streit mit Lisa war langsam in den Hintergrund getreten. Dafür aber lag ihr der Rat der Mohrin, sich ihrem Vater anzuvertrauen, schwer auf der Seele. Dasselbe hatte ihr auch ihre Patin, die Ziegenbäuerin, empfohlen. Beide Frauen kannten Marie und Michel und wussten, dass Trudis Vater es wohl leichter aufnehmen würde. Ihm trauten sie zu, die Nachricht Marie vorsichtig beizubringen und sie zu beschwichtigen, damit sie nicht zu harsch reagierte.
Trudi schwankte lange, ob sie den Verlust ihrer Jungfräulichkeit beichten sollte. Wenn Gressingen um sie warb, fiel dies nicht ins Gewicht. Doch seit dem Gespräch mit Alika verlor sie mit jedem Tag, an dem sie nichts von ihm hörte, ein kleines Stück von ihrem Vertrauen in den jungen Ritter. Daher klammerte sie sich schließlich an die Hoffnung, ihr Vater könne Junker Georg die Angst nehmen, er sei nach dem Verlust seines Besitzes hier auf Kibitzstein nicht mehr willkommen.
Da die Burg zu einer Fehde gerüstet wurde, war es nicht leicht, ihren Vater alleine anzutreffen. Meist stand Karel bei ihm oder dessen Unteranführer Gereon, und gingen die beiden woanders ihren Pflichten nach, wollten die Mutter, Anni oder sonst jemand eine Entscheidung von ihm. Da Trudi kein Aufsehen erregen wollte, wagte sie es nicht, ihn vor anderen Ohren um ein Gespräch unter vier Augen zu bitten. Daher bot sich ihr erst am letzten Abend vor ihrem Ritt nach Fuchsheim die Gelegenheit, auf die sie so lange gewartet hatte. Ihre Mutter war mit Lisa und Hildegard zur Ziegenbäuerin gegangen, Karel und Gereon standen unten im Burghof und wählten die Kriegsknechte aus, die die Familie nach Fuchsheim begleiten sollten, und Annis Stimme drang aus dem Küchenanbau.
Michel saß allein in der Halle, die ihm auf einmal viel zu groß und gleichzeitig bedrückend vorkam, und hielt einen leeren Becher in der Hand. Als er nach einem Knecht rufen wollte, tauchte Trudi neben ihm auf.
»Darf ich dir einschenken, Papa?«, fragte sie mit dünner Stimme.
»Der Krug ist leer. Ich wollte gerade nach Kunz rufen, damit er einen neuen holt«, antwortete Michel. Er klang so müde, dass Trudi ihr Vorhaben beinahe aufgegeben hätte.
»Das mache ich schon!«, sagte sie, um Zeit zu gewinnen. Bevor ihr Vater etwas erwidern konnte, nahm Trudi den leeren Krug und rannte los. Im Keller füllte sie das Gefäß mit dem besten Tropfen, den ihre Eltern je gekeltert hatten. Sie war dabei so aufgeregt, dass sie nicht richtig achtgab und den Hahn zu spät schloss. Ein Teil des Weines floss über und bildete auf dem Boden eine Pfütze.
Trudi überlegte kurz, ob sie einen Lappen holen und die Lache aufwischen sollte. Doch es brannte ihr unter den Nägeln, mit ihrem Vater zu reden, und so kehrte sie dem Weinkeller den Rücken. Sollte der Kellermeister doch rätseln, wer sich an dem Fass für besondere Anlässe vergriffen hatte.
Als Trudi in die Halle zurückkehrte, saß Michel noch immer an derselben Stelle und hing seinen Gedanken nach, die seiner Miene zufolge nicht gerade erfreulich sein konnten. Das Mädchen zögerte, sagte sich aber, dass dies die einzige Gelegenheit vor dem Ritt nach Fuchsheim war, ihrem Vater zu beichten, was ihr zugestoßen war.
»Hier, Papa! Es ist der gute Wein aus deinem besonderen Fass! Willst du ihn nicht lieber im Erkerkämmerchen trinken? Allein in der Halle zu sitzen, ist doch nicht schön.«
Trudis Tonfall ließ Michel aufmerken. So hatte sie als kleines Kind gesprochen, wenn sie in einem ihrer Wutanfälle ein Spielzeug ihrer Schwestern oder einen anderen Gegenstand zerschlagen hatte. Danach war sie stets zu ihm gekommen, in der Hoffnung, er würde bei ihrer Mutter um gut Wetter bitten. Inzwischen hielt Trudi sich weitaus besser im
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