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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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Wellen ihn davontrugen. Zunächst erzeugte er nur die Töne zur Musik, schließlich war er die Musik selbst, und sie hob ihn höher und höher empor bis zu ihrem Gipfel.
    Als er fertig war, schwiegen sie eine Minute lang. Dann sagte Duke: »Das war wirklich verdammt gut.« Er spielte ein paar Akkorde auf dem Klavier und stimmte dann das Stück an, das er vorgetragen hatte, Griegs »Marsch der Trolle« mit seiner ureigenen Energie und düsteren Vergnügtheit. Duke spielte drauflos, Paul begleitete ihn, und keiner von beiden hörte das Klingeln und Klopfen. Plötzlich stand der Pizzajunge in der offenen Tür. Es dämmerte schon, ein rauher Wind wehte ins Haus. Sie rissen die Pappschachteln auf und machten sich über das Essen her, verbrannten sich die Zungen und schlangen es herunter, ohne etwas zu schmecken. Durch die Verandatür blickte Paul auf den trostlos grauen Himmel, dann auf Dukes Gesicht, das so blaß war, daß seine Pickel hervorstachen. Sein dunkles Haar fiel ihm flach in die Stirn, in seinen Mundwinkeln sah man Spuren von Tomatensauce.
    »Unglaublich«, sagte Paul. Er legte seine Hände flach auf den Eichenboden, war froh, diesen zu spüren und dort zu sitzen, in einem Raum voller Ordnung und Sauberkeit.
    »Nicht von schlechten Eltern, das Zeug«, stimmte Duke zu. »Wie spät ist es?«
    Paul stand auf und ging zur Standuhr im Flur. Es war Minuten und Stunden her, daß sie hier gestanden und sich vor Lachen nicht mehr hatten halten können, weil der Sekundenzeiger im Zeitlupentempo weiterzurücken schien. Das einzige, woran Paul in diesem Moment denken konnte, war sein Vater, wie er jeden Morgen seine Armbanduhr nach ihr |280| stellte. Er blickte auf den Tisch, der mit Fotos übersät war, und war traurig. Draußen war es schon fast stockdunkel.
    Das Telefon klingelte. Duke lag noch immer ausgestreckt auf dem Teppichboden, und es schien, als würden Stunden vergehen, bevor Paul den Hörer abnahm. Es war seine Mutter.
    »Schatz …«, sprach sie gegen den Lärm und das klappernde Geschirr im Hintergrund an.
    Er sah sie im Kostüm vor sich, vielleicht in dem dunkelblauen, wie sie sich mit den Fingern durchs Haar strich und ihre Ringe dabei aufblitzten.
    »Ich habe noch ein Geschäftsessen mit ein paar Kunden von IBM, das ist sehr wichtig. Ist dein Vater schon zu Hause? Alles in Ordnung bei dir?«
    »Meine Hausaufgaben habe ich gemacht«, sagte er und betrachtete dabei aufmerksam die Standuhr, über die er sich noch eben hatte totlachen können. »Ich habe auch schon Klavier geübt. Papa ist nicht zu Hause.«
    Einen Augenblick war es still. »Er hat mir versprochen, um diese Zeit zu Hause zu sein«, sagte sie.
    »Hier ist alles in Ordnung«, sagte er und dachte an den Abend des Konzerts, wie er auf dem Fenstersims gesessen und erwogen hatte zu springen. Plötzlich war er gefallen und dann weich und dumpf auf der Erde gelandet, ohne daß irgend jemand es gehört hatte. »Ich bleibe heute abend hier«, sagte er.
    »Ich mache mir Sorgen um dich, Paul.«
    »Dann komm doch nach Hause«, hätte er am liebsten gesagt, doch im Hintergrund erscholl Gelächter und ebbte wieder ab wie eine brechende Welle. »Hier ist alles in Ordnung«, sagte er wieder.
    »Bist du sicher?«
    »Ganz sicher.«
    »Ich bin mir da nicht so sicher.« Sie seufzte, hielt den Hörer zu und sprach zu jemand anderem. Dann nahm sie das |281| Gespräch wieder auf. »Das mit den Hausaufgaben ist wirklich prima, Paul. Hör zu, ich rufe jetzt deinen Vater an, und wo immer er auch steckt – ich bin spätestens in zwei Stunden zu Hause, versprochen. Ist das in Ordnung? Bist du sicher, daß es dir gutgeht? Ich laß alles stehen und liegen, wenn du mich brauchst.«
    »Mir geht’s gut«, sagte er. »Du brauchst Papa nicht anzurufen.«
    Ihre Antwort klang kühl und mechanisch: »Er hat mir versichert, daß er zu Hause sein würde. Er hat es mir versprochen.«
    »Stehen diese Typen von IBM auf Flamingos?«
    Wieder war es einen Moment still, nur im Hintergrund Gelächter und klirrende Gläser.
    »Paul, geht es dir wirklich gut?« fragte sie schließlich.
    »Alles okay, das war nur ein Witz, mach dir keinen Kopf.«
    Als sie aufgelegt hatte, verharrte Paul noch eine Weile und lauschte dem Freizeichen. Das Haus atmete in der Stille. Es war jedoch nicht die gleiche, die er im Zuhörersaal empfunden hatte, eine voller Erwartung und Spannung, sondern eher eine leere Stille. Er griff nach seiner Gitarre und dachte an seine Schwester. Wenn sie nicht gestorben wäre

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