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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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– würde sie ihm ähneln? Würde sie gern laufen? Würde sie gern singen?
    Duke lag noch immer im Wohnzimmer, mit einem Arm bedeckte er sein Gesicht. Paul hob die leeren Pizzakartons und die dünne Schutzfolie auf und warf sie draußen in die Mülltonne. Die Luft war kühl, die Welt wie neu. Er hatte einen tierischen Durst, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen, und so holte er sich kalte Milch aus dem Kühlschrank und trank auf dem Weg ins Wohnzimmer aus der Flasche, die er dann Duke reichte. Er setzte sich hin und fing wieder an zu spielen, diesmal etwas leiser. Die Töne schwebten durch den Raum, langsam, erhaben, fliegende Gebilde.
    »Hast du noch mehr von dem Zeug?« fragte er.
    »Klar. Aber diesmal kostet’s was.«
    |282| Paul nickte, spielte weiter, während Duke aufstand und zum Telefon ging.
    Vor langer Zeit, als er noch ein Kind gewesen war, wahrscheinlich in der Vorschule, hatte er seine Schwester gemalt. Seine Mutter hatte ihm alles über sie erzählt, und so hatte er sie mit auf das Bild gemalt, das er »Meine Familie« nannte – sein Vater darauf braun umrissen, seine Mutter mit dunkelgelbem Haar und er selbst, der sein eigenes Abbild an der Hand hielt. Nachdem er das Bild gezeichnet hatte, umwickelte er es mit einem Band und überreichte es seinen Eltern eines Morgens beim Frühstück als Geschenk.
    Als er das Gesicht seines Vaters sah, spürte er dunkle Gefühle in sich aufkommen, die er mit fünf weder hätte erklären noch beschreiben können, von denen er jedoch wußte, daß sie mit Kummer verbunden waren. Auch seine Mutter war von Traurigkeit erfüllt, als sie das Bild in den Händen hielt, aber sie setzte schnell eine Maske auf, dieselbe heitere Maske, die sie auch heute aufsetzte, wenn sie ein Geschäftsessen hatte. Er erinnerte sich, wie ihre Hand seine Wange streichelte. Das tat sie manchmal heute noch, und sie schaute ihn dabei immer so eindringlich an, als könne er sich jeden Moment in Luft auflösen. »Es ist wunderschön«, hatte sie an jenem Tag gesagt. »Es ist ein wunderschönes Bild, Paul.«
    Später, als er älter war, vielleicht neun oder zehn, waren sie zusammen zu dem stillen Friedhof aufs Land gefahren, wo seine Schwester beerdigt war. Es war ein kühler Frühlingstag, und seine Mutter pflanzte Ackerwindensamen entlang der gußeisernen Umfriedung. Paul stand da und las den Namen – Phoebe Grace Henry – und sein eigenes Geburtsdatum und fühlte eine Unruhe, eine drückende Last, für die er keine Erklärung fand. »Warum ist sie gestorben?« fragte er seine Mutter, als sie schließlich zu ihm kam und die Gartenhandschuhe abstreifte. »Das weiß niemand«, sagte sie und legte den Arm um ihn, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. »Es war nicht |283| deine Schuld«, sagte sie in einem bitteren Ton, »es hat nichts mit dir zu tun.«
    Aber er hatte ihr nicht glauben wollen, war sich nicht sicher gewesen. Wo sein Vater sich doch jeden Abend in der Dunkelkammer einschloß und seine Mutter an den meisten Tagen bis in den späten Abend hinein arbeitete und außerdem im Urlaub aus ihren Kleidern schlüpfte, um sich mit sonderbaren Männern im Strandhäuschen zu vergnügen. Wessen Schuld konnte es da schon sein? Bestimmt nicht die seiner Schwester, die bei der Geburt gestorben war und diese Stille hinterlassen hatte. Wegen all dem hatte er einen Kloß im Hals, der im Laufe des Tages anschwoll. Immerhin war er am Leben. Also war es an ihm, seine Eltern zu beschützen.
    Die Klänge verhallten, und Duke erschien im Türrahmen. »Joe kommt vorbei, jetzt gleich«, sagte er. »Hast du die Kohle?«
    »Klar, komm mit.«
    Durch den Hintereingang gingen sie nach draußen und die seitliche Treppe wieder hinauf zu dem großen, hellen Raum über der Garage. An jeder Wandseite dieses Raumes befand sich eine große Fensterfront, und tagsüber war er ganz von Licht durchflutet. Die Dunkelkammer war wie ein Wandschrank direkt neben dem Eingang eingebaut. Vor ein paar Jahren, als seine Fotos zum erstenmal Beachtung gefunden hatten, hatte sein Vater diese Etage ausgebaut. Mittlerweile verbrachte er fast jede freie Minute hier oben, entwickelte Filme, experimentierte mit dem Licht. Außer ihm kam fast niemand hierher, seine Mutter schon gar nicht. Manchmal lud ihn sein Vater in sein Reich ein, und Paul erwartete diese Tage mit einer Sehnsucht, für die er sich schämte.
    »Die hier sind echt cool«, staunte Duke, der an den Wänden entlangging und die gerahmten Drucke betrachtete.
    »Eigentlich

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