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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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Tochter, die so verletzlich schien, die so schutzlos der Welt ausgesetzt war, die um sie tobte. Plötzlich wurde sie einer Bewegung weiter hinten im Haus gewahr, eines Schattens, der durch die Verandatür ins Wohnzimmer huschte.
    |331| Caroline hielt den Atem an, war unruhig, wenn auch noch nicht beunruhigt. Dann nahm der Schatten Form an, und sie atmete auf. Es war kein Fremder, sondern Al, der etwas früher von seiner Tour zurückgekehrt war und jetzt durchs Haus tapste. Sie war überrascht, und gleichzeitig war ihr auf merkwürdige Weise wohl. Al hatte zuletzt mehr Jobs angenommen und war häufig zwei Wochen hintereinander fort gewesen. Aber nun war er da: Er war nach Hause gekommen. Hatte die Jalousien geöffnet und ihr diesen genußvollen Moment geschenkt, diesen Wimpernschlag ihres Lebens, festgehalten in diesen Mauern, eingefaßt von der Anrichte, die sie ausgebessert hatte, dem Feigenbaum, den sie nicht hatte fällen können, und den Fenstern und Wänden, die sie all die Jahre so liebevoll geputzt hatte. Phoebe hob den Kopf von ihrer Arbeit und starrte aus dem Fenster auf den grünen nassen Rasen, ohne etwas zu sehen. Ihre Hand strich über den weichen Rücken der Katze. Al schritt mit einer Tasse Kaffee in der Hand durch den Raum. Er stellte sich neben sie und wies mit der Tasse auf das Kleidungsstück, das sie wob.
    Es regnete nun stärker, Carolines Haar war patschnaß, aber sie rührte sich nicht. Die Leere, die sie außerhalb der Kneipe gefühlt hatte, wurde durch den Anblick ihrer Familie verscheucht. Regen prasselte auf ihre Wangen und lief an den Fensterscheiben herunter, perlte an ihrer guten Wolljacke ab. Sie streifte ihre Handschuhe ab und kramte in der Handtasche nach ihrem Schlüssel, bis ihr einfiel, daß die Tür gar nicht verschlossen sein würde. Während die Autos nimmermüde die Nationalstraße heraufbrausten und ihre Fernlichter sich in den dichten Fliederbüschen verfingen, die sie vor einigen Jahren als Setzlinge gepflanzt hatte, hielt Caroline in der Dunkelheit des Gartens noch einmal inne. Dies war ihr Leben. Nicht das Leben, von dem sie einst geträumt hatte, kein Leben, das sie sich als junge Frau vorgestellt oder erbeten hatte. Sondern das Leben, das sie lebte, in all seiner |332| Komplexheit – ihr Leben. Bedächtig und behutsam hatte sie es sich aufgebaut, und es war gut. Sie schloß ihre Handtasche wieder. Ging die Stufen herauf, drückte die Hintertür auf – und war zu Hause.

|333| 16. Kapitel
    März 1982
    S IE WAR PROFESSORIN FÜR KUNSTGESCHICHTE AN der Carnegie-Mellon-Universität und fragte ihn etwas über Form. »Was ist Schönheit?« wollte sie wissen, während sie ihm die Hand auf den Arm legte und ihn über den schimmernden Boden aus Eichenholz führte, zwischen den weißen Wänden hindurch, an denen seine Bilder hingen. Könne man die Schönheit in der Form finden? Den Sinn? Als sie sich zu ihm wandte, fiel ihr das Haar ins Gesicht. Mit einer Handbewegung klemmte sie es sich wieder hinters Ohr.
    Er blickte zu ihr hinunter, schaute auf die weiße Strähne in ihrem Haar und in ihr glattes, blasses Gesicht.
    »Schnittpunkte«, sagte er sanft und schaute wieder dorthin, wo Caroline stand und ein Bild von Norah am Strand betrachtete. Er war erleichtert, sie immer noch in der Nähe zu wissen, und es kostete ihn Mühe, sich wieder der Professorin zuzuwenden. »Ich bin auf der Suche nach Konvergenz – ich verfolge keinen theoretischen Ansatz. Ich fotografiere das, was mich berührt, was mich bewegt.«
    »Niemand kommt ohne jedwede Theorie aus«, erwiderte sie. Doch dann hörte sie auf zu fragen, ihre Augen verengten sich, und sie biß sich kaum merklich auf die Unterlippe. Zwar konnte er ihre Zähne nicht sehen, aber er stellte sie sich aufrecht, weiß und eben vor. Der Saal drehte sich um ihn, Stimmen erhoben sich und schwollen wieder ab, und in einem kurzen Moment der Stille spürte er, wie sein Herz raste; noch immer hielt er den Briefumschlag in der Hand, den Caroline ihm gegeben hatte. Sein Blick streifte erneut durch den Raum – gut, sie war noch immer da –, und er schob den |334| Umschlag sorgsam in die Tasche seines Jacketts; seine Hände zitterten leicht.
    Ihr Name sei Lee, sagte die dunkelhaarige Frau nun. Sie würde eine Kritik über seine Ausstellung schreiben. David nickte und hörte nur mit halbem Ohr hin. Lebte Caroline in Pittsburgh, oder hatte sie nur ein Plakat über die Ausstellung gesehen und war von woanders hierhergekommen – von Morgantown,

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