Die Tochter des Fotografen
sprudelte das Wasser, schäumte weiß vor der Betonschräge, brandete auf. Wenn er fiele oder spränge und sich nicht schwimmend retten könnte, würden sie folgendes finden: eine Armbanduhr, auf deren Rückseite der Name seines Vaters eingraviert war, sein Portemonnaie mit 200 Dollar in bar, seinen Führerschein, einen Kieselstein aus dem Fluß nahe seines Elternhauses, den er seit dreißig Jahren mit sich trug. Und die Fotos, umschlossen vom Umschlag, der sich in seiner Brusttasche befand.
|339| Zu seiner Beerdigung würden viele Menschen kommen – der Leichenzug würde sich über mehrere Häuserblocks erstrecken.
Doch die Nachricht von seinem Tod würde nicht über die Stadt hinausgehen. Caroline würde es möglicherweise nie erfahren. Genausowenig würde sich die Nachricht bis dorthin verbreiten, wo er geboren war. Und selbst wenn, würde niemand etwas mit seinem Namen anfangen können.
Der Brief hatte schon auf ihn gewartet, als er eines Tages aus der Schule kam. Niemand sprach ein Wort, aber alle schauten ihn an. Sie wußten, was es war – der Stempel der Universität Pittsburgh war deutlich zu sehen. Er nahm den Umschlag mit nach oben und legte ihn auf seinen Nachttisch; er war zu aufgeregt, ihn zu öffnen. Er erinnerte sich des grauen, eintönigen Himmels an diesem Nachmittag, der nur von dem blattlosen Zweig einer Ulme durchbrochen wurde.
Zwei Stunden sah er nicht nach. Dann tat er es, und die Nachricht hätte nicht besser sein können. Man hatte ihn an der Universität angenommen. Er saß auf der Bettkante, benommen von der frohen Kunde und doch zu mißtrauisch – wie er es immer sein würde, sein ganzes Leben hindurch –, um wirklich Freude zuzulassen. »Es freut mich, Ihnen mitteilen zu dürfen …«
Doch dann bemerkte er den Irrtum, die dumpfe Wahrheit kroch in ihm herauf und machte sich genau dort breit, wo er sie erwartet hatte, in jenem Hohlraum unter seinen Rippen: Es war nicht sein Name, der im Brief stand. Die Adresse stimmte, auch jedes weitere Detail, vom Geburtsdatum bis zur Sozialversicherungsnummer, auch die beiden ersten Namen, David nach seinem Vater, Henry nach seinem Großvater, entsprachen der Wahrheit, waren akkurat von einer Sekretärin eingetippt worden, die vielleicht von einem Anruf oder einem Studenten unterbrochen worden war. Oder es war einfach nur die milde Frühlingsluft gewesen, die sie von ihrer Arbeit aufsehen und vom Abend hatte träumen lassen |340| – wie ihr Verlobter sie mit einem Blumenstrauß überraschen und ihr Herz dabei schneller schlagen würde. Dann knallte eine Tür. Sie hörte Schritte, ihren Chef. Sie schrak auf, sammelte sich und kehrte in die Gegenwart zurück. Blinzelnd drückte sie die Absatztaste und widmete sich wieder ihrer Arbeit.
»David Henry« hatte sie schon getippt, richtigerweise. Doch der Nachname, McCallister, war verschwunden.
Er hatte es nie jemandem erzählt. Er hatte sich am College eingeschrieben, und niemand hatte es je erfahren. Im Grunde war es ja sein Name. Das änderte jedoch nichts daran, daß David Henry eine andere Person war als David Henry McCallister. Und es war ihm klar, daß er als David Henry aufs College gehen mußte, als ein Mensch ohne Geschichte, ohne die Bürde der Vergangenheit. Als ein Mensch, der die Chance bekommt, von vorn anzufangen.
Und genau das hatte er getan – der Name hatte es möglich gemacht. In gewisser Weise hatte der Name es sogar verlangt. Dieser Name schien ihm stark, er erinnerte an die alten Patrizierhäuser. Nicht zuletzt hatte es Patrick Henry gegeben, einen Staatsmann und großen Redner. Am Anfang hatte er sich während der Gespräche immer etwas seekrank gefühlt – Gespräche, bei denen er von Menschen umgeben gewesen war, die reicher waren und Beziehungen hatten, von Menschen, die sich völlig wohl fühlten in der Welt, der er verzweifelt anzugehören versuchte. Dann spielte er manchmal ganz beiläufig auf eine entfernte, aber wichtige Verwandtschaft an und brachte ein paar falsche Vorfahren ins Spiel, um – diese hinter sich wissend – ihren Beistand zu borgen.
Das war das, was er Paul hatte bieten wollen. Einen Platz in der Welt, den niemand in Frage stellte.
Das Wasser zwischen seinen Füßen war braun, an den Rändern zeichnete sich weißer Schaum ab. Der Wind wurde stärker, und seine Haut wurde so durchlässig wie sein Mantel. Er drang bis in sein Blut, das sprudelnde Wasser blitzte, kam näher, |341| und plötzlich spürte er etwas Säuerliches in seiner Kehle, kniete
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